Fritz Lang hatte keine Geduld für Satzzeichen. Eine forsch hingeworfene Bleistiftnotiz am Rande: "Kirche fort dafür Turm Babel". Daneben ein Pfeil, an dessen Ende eine unwirsch durchgestrichene gotische Kathedrale zwischen Hochhäusern. Lang war nicht zufrieden mit der Zeichnung, die ihm sein Bühnenbildner Erich Kettelhut für den Film Metropolis (1927) vorgelegt hatte. Kettelhuts nächste Zeichnung befolgte die Anweisung des Regisseurs: Ein wuchtiger Turm in der Bildmitte überragt die Stadtkulisse, gekrönt von einer Plattform, von der Flugzeuge in den Himmel starten.

Städte zwischen Licht und Schatten, eine Nation zwischen Utopie und Verhängnis: Erich Kettelhuts "Turm Babel" für Fritz Langs "Metropolis".
Foto: Erich Kettelhut/Deutsche Kinemathek Berlin

Zukunft statt Vergangenheit, Dystopie statt Erlösung. Die weiß gehöhte Federzeichnung ist eines der Prachtstücke der Ausstellung Deutsche Filmarchitektur 1918-1933, die vorige Woche an der Tchoban Foundation, dem Berliner Museum für Architekturzeichnung, eröffnet wurde. Ein willkommenes Gegenmittel zur Veranstaltungs-, Ausstellungs-, Symposiums- und Buchveröffentlichungsflut zum 100-jährigen Bauhaus-Jubiläum, die selbst die korrekt und termingerecht jubilierenden Deutschen schon Anfang des Jahres zu erschöpftem Aufstöhnen brachte. "Wir haben eigentlich schon genug Bauhaus gesehen", konstatierte auch Direktorin und Kuratorin Nadejda Bartels. Stattdessen wolle man sich bei Tchoban einem anderen Jubiläum widmen: dem der Weimarer Republik. "Diese Ära steht für die erste demokratische Verfassung, eine künstlerisch spannende Zeit, die Blütezeit des deutschen Films."

Tiefe Schatten

Wie die Skizzen und Zeichnungen der kleinen, feinen Ausstellung beweisen, verkörpert die Filmarchitektur jener Zeit so etwas wie die dunkle Unterseite des Bauhauses. Zwar war jenes keineswegs ein reiner Hort des Rationalismus, denn Figuren wie der Schweizer Malereiprofessor Johannes Itten brachten den sektenhaft-okkulten Mystizismus der 1920er-Jahre auch an die Hochschule. Dennoch zielte das Bauhaus eindeutig in eine bessere Zukunft. Emanzipierter, egalitärer, sauberer, heller. Eine besser ausgestattete und besser funktionierende Welt.

Filme wie Robert Wienes Das Kabinett des Dr. Caligari (1920), F. W. Murnaus Faust – eine deutsche Volkssage (1926) oder Fritz Langs M (1931) sahen die Zukunft als schwarzen Abgrund und die Gegenwart als schiefe Ebene in Richtung dieses Abgrunds oder tauchten, wie auch Langs Die Nibelungen (1924), ganz in die seelischen Tiefen der Vergangenheit ab. Vom Bauhaus-Ideal "Licht, Luft und Sonne" keine Spur. Hier dominieren durchweg die tiefen Schatten. Die Filme sind nervöse Fieberkurven einer verunsicherten und traumatisierten Kulturnation nach dem Ersten Weltkrieg.

Robert Herlths dämonischer Mephisto für F. W. Murnaus "Faust – eine deutsche Volkssage".
Foto: Robert Herlth/Deutsche Kinemathek Berlin

Wie der Filmwissenschafter und Autor Siegfried Kracauer 1947 in seinem Buch Von Caligari zu Hitler diagnostizierte, erscheinen sie im Rückblick wie dräuende Prophezeiungen dessen, was der Weimarer Republik nachfolgen sollte. In der Kreidezeichnung von Robert Herlth für Murnaus Faust breitet ein todesschwarzer Mephisto seine Schwingen über eine zusammengekauerte Kleinstadt aus, der auch heute noch gänsehautzeitigende Film zeigt eine von Gott verlassene mittelalterliche Welt voller Pest und Verzweiflung, in der nur auf den Teufel Verlass ist. Auch wenn der Film mit einem tragischen Sieg der Liebe endet, ist das Bild des Dämons jenes, das am längsten auf der Netzhaut bleibt.

Destination Babel

Zweifellos am einflussreichsten, weil ambivalentesten, ist die Stadtarchitektur von Fritz Langs Metropolis. An der Frage, ob sie utopisch oder dystopisch ist, haben sich Generationen von Filmwissenschaftern abgearbeitet. Belegt ist, dass Fritz Lang voller Wolkenkratzerbegeisterung von einem New-York-Besuch zurückgekehrt war. Hochhäuser waren schließlich ein neues Phänomen, zumal in Europa, wo Le Corbusier, Ludwig Mies van der Rohe und Ludwig Hilberseimer ihre ersten, ungebaut bleibenden Visionen zu Papier brachten, mal gläsern-kristallin, mal als Türme in wogendem Grün, mal als endlos gereihte Scheiben zwischen breiten Autobahnen. Metropolis vereinigt all dies und stapelt es zu einer dichten vertikalen Collage, als wäre die ganze Stadt ein einziges Gebäude. Schluchten, in denen sich Stadtbahnen, Autobahnen und Fußgängerwege neben- und übereinander schlängeln, darüber die Flugzeuge, Destination Babel. In den so detaillierten wie atemberaubend schönen Zeichnungen von Kettelhut ist bereits nahezu der ganze Film enthalten.

Das Erstaunliche: Die Stadtbilder beanspruchen auf Zelluloid weniger als eine Minute des zweistündigen Films. Dennoch haben sie die Zeit weit besser überlebt als das vor Erlösungsschwulst triefende Drehbuch von Langs Gattin Thea von Harbou, das der Autor H. G. Wells nach der Premiere als "Sauce von Sentimentalität" verdammte. Metropolis sei der dümmste Film, den er je gesehen habe, zürnte Wells, urbanistisch falsch, denn die Stadt der Zukunft werde nicht in die Höhe, sondern in die Breite gehen.

Futuristische Stadtbilder

Darin sollte er zumindest teilweise recht behalten, denn bis heute starten keine Flugzeuge im 120. Stockwerk von Türmen. Trotzdem beeinflusst Metropolis die futuristisches Stadtbilder in Film und Science-Fiction bis heute, von Ridley Scotts Blade Runner bis zum Anime-Klassiker Ghost in the Shell.

Warum aber waren die Stadtszenen so kurz? Dies hatte ganz pragmatische Gründe: Die Bühnenbilder waren teuer und die Stop-Motion-Kameratechnik ausgesprochen mühsam. "Dreimal fünf Filmmeter sollten gedreht werden. Das bedeutete beinahe eintausendfünfhundert Einzelbilder, also eine Arbeit von vielen Wochen", erinnerte sich Erich Kettelhut in seinen Memoiren.

Abseits aller Psychogramme zwischen Mittelalter, Futurismus und Faschismus machen die Zeichnungen auch deutlich, wie sich der Film als künstlerisches Mittel professionalisierte. König Etzels Thron in Die Nibelungen zerfällt in der technischen Zeichnung ("an Herrn Rudolf Knopf, Tischlerei") in prosaische Holzstücke. Die expressionistisch in alle Richtungen fliehenden Giebel der Häuser in Das Kabinett des Dr. Caligari mit ihrer paranoid aus den Fugen geratenen Architektur werden in Bühnenbildner Hermann Warms Grundriss für das Lixi-Filmatelier Berlin-Weißensee zum technisch-rationalen Arrangement aus bemalten Tafeln und Kamerablickwinkeln. Das Böse, könnte man sich trösten, ist nur Kulisse. Es ist, wie Emil Haslers unschwer als Straßenszenen aus dem Berlin von 1931 erkennbare Skizzen für Langs M – eine Stadt sucht einen Mörder zeigen, aber auch überall unter uns. (Maik Novotny, 22.6.2019)