Wäre Ingeborg Bachmann damit einverstanden, dass ihr Konterfei auf Taschen gedruckt wird?

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"Das hier ist also der Nabel der deutschen Literaturwelt", sagte jemand aus unserem Bachmann-Jahrgang, bevor es losging. Genau! Jahr für Jahr dasselbe Theater. Die Bekanntgabe der Namen! Die ersten Hypes! Zur Dramaturgie gehört auch, dass das Feuilleton jedes Jahr pflichtbewusst die Verhurung des Literaturbetriebs heraufbeschwört. Der Markt missbraucht die Literatur und umgekehrt! Literatur verkommt zu Exhibitionismus! Schande über alle, die es nötig haben, sich für das bisschen Sendezeit zu prostituieren! Davon völlig unbeeindruckt geht das Bachmann-Wettlesen heuer in seine 43. Runde: als eine der wichtigsten Veranstaltungen, aber auch als beliebtestes Vernetzungstreffen im deutschsprachigen Literaturraum.

Wenn es halt so gemütlich ist in Klagenfurt! Der See, die Trinkwasserqualität, die Sonnenstunden! Die ganze Stadt verwandelt sich mit Überkopfbehängen, Fähnchen und Liegestühlen in eine Literaturhauptstadt. Statt stickiger Hörsäle gibt es Public Viewing unter schattigen Bäumen, statt schaler Kaffees Sektempfang im Schloss Maria Loretto, statt schnöder Rahmenprogramme Wettschwimmen und obendrauf Party ohne Ende. Mediterranes Flair: Das liegt ihnen, den Kärntnern.

Blut, Schweiß und Tränen

Kulturell ja sonst eher unauffällig, zeigt Klagenfurt im Sommer, was es am besten kann: die perfekte Kulisse für Wettbewerbe aller Art sein. Nur dass es beim Bachmannpreis keine Medaillen zu gewinnen gibt, sondern die kostbarste aller Ressourcen im Betrieb: Aufmerksamkeit. Für Literatur, Diskurs und besonders für Neulinge. Den Voyeurismus, ihren kleinen, missratenen Zwilling, hat sie leider immer im Schlepptau.

Aber war das nicht immer schon so? Mit derselben Berechtigung, mit der Volleyballer in den Sand hechten und Ironmänner durchs Seewasser pflügen, schickt der Literaturzirkus seine Pferdchen in die Manege: weil Wettbewerbe unterhaltsam und emotional sind. Weil sich alles, was in Blut, Schweiß und Tränen mariniert ist, gut verkauft. Dass die Jury nicht nur klugscheißen, sondern auch menscheln kann, rundet die Sache noch ab. Wer denkt, Literatur wäre etwas Hehres, über Eitelkeit und Kapitalismus Erhabenes, soll kurz mit einem der Literaturagenten vor Ort plaudern (natürlich erst, wenn alle Autorinnen und Autoren abgegrast sind).

Der Kopf der Bachmann ist Markenzeichen, aber auch Feigenblatt der unwürdigen Talenteshow. Die Bachmann darf neuerdings eine Hotelfassade zieren. "Die Dichterin als Allgemeingut" titelte dazu die Kronen Zeitung. Wäre Ingeborg Bachmann damit einverstanden, dass ihr Konterfei als "Allgemeingut" auf Häferln und Kunststofftaschen gedruckt wird? Der Preis wurde im Gedenken an sie ins Leben gerufen. Aber ist es tatsächlich eine Würdigung, für einen ideologisch umstrittenen Literaturwettbewerb sein Gesicht hinhalten zu müssen? Ist es eine Ehre für Mozart, jede Marzipankugel umhüllen zu dürfen? Kurz: Wie viel Bachmann steckt eigentlich im Bachmannpreis?

Als ich Stadtschreiberin war, suchte ich Ingeborg Bachmann in Klagenfurt. Ich fand ihr Grab, eine Schule, die nach ihr benannt wurde, und "Bachmann-Salat" auf einer Speisekarte. 2016 wurde die etwas mickrige Gipsbüste vor dem Theater gegen eine beschauliche, etwas pockennarbige Bronzebüste in einem Park ausgetauscht. Wie repräsentativ das Ergebnis ist, könnte daran gemessen werden, wie viel und welch prominenter Platz Lindwürmern und Wassermännern zugesprochen wird.

Der Kopf der Bachmann

Es muss ja nicht gleich die Umbenennung des Flughafens sein (die für Udo Jürgens angedacht, aber nie realisiert wurde). Es reichte ja schon, in einem neu erschlossenen Siedlungsgebiet eine Straße nicht reflexartig nach Blumen oder altgedienten Parteisoldaten, sondern nach Ingeborg Bachmann zu benennen, so wie es in Wels (und nicht Wien), aber auch München, Düsseldorf, Ludwigshafen und in noch mehr deutschen Städten geschehen ist. In einem Land wie Österreich, in dem mehr Straßen nach Nazis benannt sind als nach Frauen, böte sich Ingeborg Bachmann da gleich im doppelten Sinne an.

70.000 Titel erscheinen jedes Jahr. Der Bachmannpreis erinnert daran, dass Institutionen wie das Bachmann-Wettlesen nur ein kleines Rädchen im gigantischen Getriebe des Literaturmarktes sind. Als solches sollte er weder verteufelt noch heiliggesprochen, sondern als Anlass für Fragen abseits der rein literarischen Deutungshoheit genommen werden, wie: Wer bestimmt, was Literatur ist, und wer, was gekauft wird? Wer wird warum unsterblich – und wie sieht Unsterblichkeit aus? Wie viel Markt verträgt die Literatur und wie viel Eitelkeit?

"Am Bachmannpreis entzündet sich der jährliche Literaturbetrieb wie ein Furunkel", hat einer von unserem Jahrgang gesagt. "Übers Jahr sammelt es sich an, dann wird drei Tage daran herumgedrückt, bis es platzt – und dann geht das ganze wieder von vorn los." Miese Metapher. Aber wir waren ein mieser Jahrgang; das sagte nicht nur die Presse, sondern auch die Jury, die ihn ausgewählt hat. Mir gefällt das Bild vom Nabel ohnehin besser. Den kann man herzeigen, dann aber wieder verschwinden lassen, unter Winterspeck, Wollpullovern und Unterwäsche. Bis zum nächsten Sommer. (Gertraud Klemm, Album, 22.6.2019)