Andreas Maier, "Die Familie". Roman, € 20,60 / 168 Seiten. Suhrkamp-Verlag, Berlin 2019

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Andreas Maier, "Was wir waren", Kolumnen, € 16,50 / 114 Seiten. Suhrkamp-Verlag, Berlin 2018

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Dass sich der deutsche Schriftsteller Andreas Maier auf dem Weg zum lieben Gott befindet, wissen wir schon seit geraumer Zeit. (Dass es uns in gewisser Hinsicht allen so geht, auch wenn das manche abstreiten würden, ist eine andere Geschichte.) Maier ist das aber explizit, denn seit 2010 schreibt der aus Friedberg in der Wetterau stammende Suhrkamp-Autor schon an seinem Zyklus "Ortsumgehung" und ist nun mit seiner literarischen Ausgrabungsarbeit nach den Bänden Das Zimmer, Das Haus, Die Straße, Der Ort, Der Kreis, Die Universität, bei Band 7, Die Familie, gelandet, auch immer noch unterwegs zu Der liebe Gott - so nämlich soll irgendwann einmal der zehnte und letzte Teil seiner stark autobiografischen Reihe heißen. "Das wird dein Lebenswerk", hat Maier in einem Interview einmal zu sich selbst gesagt. Es sieht ganz danach aus.

Andreas Maier: "Das wird dein Lebenswerk."
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Jetzt also Die Familie. Die Familie, die immer schon und nicht bloß eine beherrschende Rolle im Maier'schen Literaturkosmos spielt. Das sind sein geburtsbehinderter Onkel J., der von Beginn an dabei ist, die Mutter, der Vater und der Bruder, über den Maier in einem Interview einmal erzählte: "Ohne ihn hätte ich die Konventionen meiner eigenen Herkunft vielleicht nicht so durchschaut. Durch die Auseinandersetzung zwischen meinem Bruder und meiner Familie wurde ich schon in gewisser Weise geprägt. Mein Bruder ist ein Mensch, der unfähig ist zu lügen." Und genau darum geht es im aktuellen Buch von Maier auch: um Wahrheit und Lüge in Familien.

Das literarische "Ich"

Der Begriff der "Ortsumgehung" ist auch hier wieder überaus passend, den dieses zusammenkonstruierte literarische Andreas-Maier-"Ich" umgeht und umkreist in all seinen Büchern Themenkomplexe, um dann auf einen Punkt zu kommen. Und so wie sein literarisches "Ich" ist auch die Reihe selbst konstruiert. Da lautete der erste Satz im ersten Teil Das Zimmer zum Beispiel: "Das Zimmer meines Onkels lag im ersten Stock ...". Der erste Satz in Die Familie lautet nun: "Die Familie besaß das mit Abstand größte Grundstück am Usa-Ufer." Wahrheit und Lüge und ein riesiges Grundstück am Mühlenweg ergeben hier deutsche Geschichte.

Das Begreifen der eigenen Familiengeschichte setzt für Maier an einem Grabstein ein, mit dessen Herstellung der Steinwerksbetrieb des Groß- und Urgroßvaters sein Vermögen machte. Eine zentrale Rolle als wiederkehrende Figur fällt in Die Familie wiederum "der Tochter der Bindernagelschen Buchhandlung" zu. Neulich sind auch Maiers Kolumnen in Buchform herausgekommen, die in der Wiener Literaturzeitschrift Volltext von 2011 bis 2018 erschienen sind, in denen es um Apfelweinwirtschaften, Rex Gildo oder eben jene Jugendliebe aus der Bindernagelschen Buchhandlung geht. Hier heißt es: " ... aber die Tochter der Bindernagelschen Buchhandlung ist immer dagegen, dass ich sie in meinen Büchern so nenne, und zwar mit dem Einwand, sie sei nicht die Tochter einer Buchhandlung."

Diese Tochter des Buchhändlers macht also eine Entdeckung, die keinen Zweifel an der Familie lässt. Auch nicht für den Schriftsteller Andreas Maier, der ja auf dem Weg zum lieben Gott ist. Nach Die Familie folgen jetzt die Stationen Die Städte und Die Heimat. Und vor Der liebe Gott kommt natürlich erst noch Der Teufel. Wir bleiben gespannt. (Mia Eidlhuber, Album, 22.6.2019)