Das geht leider nicht gut aus. Otello nähert sich dem Ehebett, in welchem seine Gemahlin ruht. Bald wird er sie durch eine Umarmung ersticken.

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Es donnert gar herzhaft rund um den stürmischen Opernbeginn – als gelte es, die ganze Stadt dezibelmäßig zu versorgen. Hier scheint nicht nur Verdis Otello zu dröhnen. Es tönt, als wäre dem Ganzen auch der expressive Beginn von Verdis Requiem beigemixt. Die Vermutung drängte sich auf, das Staatsopernorchester würde sich solcherart für das hernach stattfindende Open-Air-Konzert in Schönbrunn aufwärmen. Seinetwegen wohl hatte die Premiere ungewöhnlich früh, um 16.00 Uhr, beginnen müssen. Wie auch immer – es war belästigend laut.

Während es also im Orchestergraben wild zugeht, berückt immerhin ein hinter den trichterförmig aufgebauten Wänden ablaufendes Schattenspiel. Ein Matrose kämpft verzweifelt gegen die üble Laune der Natur. Das Schiff wird durchgerüttelt. Eine optische Hoffnung, die Appetit auf weitere Bilderpracht weckt.

Es folgt allerdings eine gewisse Desillusionierung: Da hilft kein Sternenhimmel, dem sich Otello und Desdemona zuwenden, bevor Jagos Lügengift zu wirken beginnt (vokal nobel Vladislav Sulimsky, der aber etwas eindimensional agiert). Auch der sanfte, nebelverzierte Wellengang, der später als Ornament die Atmosphäre auflockert, erwies sich als halbherzig. Es blieb bei der optischen Dominanz zweier Wände, die Gesellschaft von sich umgruppierenden kupferfarbenen Säulen bekamen (Ausstattung: Dick Bird).

Die Selbstinszenierung

Es wäre dies abstrakt-monochrome Ambiente kein Malheur, hätten die Figuren, die in die Zeit um den Ersten Weltkrieg verlegt wurden, Esprit versprüht. Die Inszenierung von Adrian Noble, der an der Staatsoper schon Hänsel und Gretel und Alcina inszeniert hat, erfüllt allerdings nur die Anforderungen einer konventionellen Erzählkunst mit Tendenz zu bleierner Schwere.

Dankenswerterweise aber inszeniert sich diese impulsive Oper ein bisschen selbst. Sie führt durch ihre innere Dramatik automatisch zur Aufsprengung der gemütlichen Routine: Der Außenseiter Otello wandelt sich in sehr kurzer Zeit vom stolzen Feldherrn und liebenden Gatten zum eher umnachteten Monster der Eifersucht. Das komponierte innere Rasen befeuert die Figur.

Und schließlich durchflutet auch Aleksandrs Antonenko die Besessenheit eines eingebildeten Betrogenen. Aus dem heldischen Poseur wird ein Individuum an der Steckdose der Wut, das im Bett der Entscheidung seine Desdemona durch einen Akt der Umarmung erstickt. Antonenko ist vokal in jenem Ausdrucksbereich angesiedelt, der tenorale Kraftentfaltung zelebriert und mit strahlenden Tönen beschenkt. Allerdings sind ihm abseits dieser Effekte kaum Nuancen gegeben. Beim Versuch, diese zu präsentieren, offenbart sich jedenfalls eine gewisse Unsicherheit.

Anders Olga Bezsmertna als Desdemona. Sie gibt in Weiß eine unschuldige Heilige im Würgegriff der Intrige. Ihre delikate Pianissimokultur hebt ihre Rolle ins Verträumt-Poetische. Hier bäumt sich eine respektable Stimme in Bereiche lyrischer Differenzierungskunst auf.

Historisch statt relevant

Dass Otello gegenüber diesem Cassio pathologisch anmutende Eifersucht entwickelt, gehört hingegen zu den wirklich lästigen Augenblicken des Abends: Jinxu Xiahou singt zwar auffallend schön. Seine liederabendartig schablonenhafte "Rollengestaltung" erweist der Glaubwürdigkeit der Geschichte keinen Dienst. Etwas lebendiger am Rande der Tragödie wirken Leonardo Navarro (als Roderigo) und Margarita Gritskova (als Emilia).

Die akustischen Befürchtungen, die der Beginn aufkeimen ließ, bewahrheiteten sich hingegen nicht. Das Staatsopernorchester blieb unter der Leitung von Dirigent Myung-Whun Chung zwar im intensiven Bereich. Details profitierten davon jedoch ebenso wie Kantables, das auch im Zarten Aufregung versprühte. Nur wehe, es stand eine heftige Tutti-Passage bevor. Da galt es, in Deckung zu gehen; hier darf noch mit Rücksicht auf die akustischen Gegebenheiten der Wiener Staatsoper nachgebessert werden.

So kam es, wie es öfter kommt: Der Applaus blieb recht höflich und wandelte sich beim Auftritt des Regieteams nicht ein bisschen. Auch die wenigen Buhs klangen gelangweilt. Falls jedoch Abgesandte der Mailänder Scala, die Dominique Meyer zum Favoriten für die Nachfolge von Alexander Pereira als Intendant wählten, zugegen waren, werden sie zur womöglich beruhigenden Erkenntnis gelangen: Der Staatsopernchef bürgt für Solides, das in die Regiehistorie weist und Oper nur selten als heutig relevant präsentiert. Sie dürfen die Produktion gerne mitnehmen. (Ljubisa Tosic, 21.6.2019)