An der Quelle der Empfindsamkeit: Jungautor Simon Strauß.

Foto: Musacchio, Ianniello & Pasqualini

Rom also. Der Schriftsteller Rolf Dieter Brinkmann, der gern den Versprengten, den Provokateur und geistigen Randalierer gab, fand die Stadt zum Kotzen, wie er in Rom, Blicke recht unverblümt zu Protokoll gibt. Goethe notierte während seiner Italienischen Reise zwei Jahrhunderte zuvor, er habe in Rom keinen neuen Gedanken gefasst – dafür waren die alten umso lebendiger. Auch August, Goethes Sohn, war hier, elf Tage später war er tot. In Rom stolperten – um nur einige wenige Deutschsprachige zu nennen – auch Lessing, Grillparzer und Gryphius herum. Später rannte Paul Nizon durch die Stadt und der missmutige Max Frisch, dem Ingeborg Bachmann wieder einmal davongeeilt, entglitten war.

Mit Pathos gegen Bürgerlichkeit

Nun hat auch der junge deutsche Autor Simon Strauß ein Buch über die "ewige Stadt" geschrieben. Es heißt Römische Tage. Leser des Feuilletons kennen den 30-jährigen Strauß vielleicht als Theaterkritiker der FAZ, anderen ist er als der Autor von Sieben Nächte ein Begriff, einem 2017 erschienenen Erzählband voll Pathos, Romantik, Sinnsuche und Aufbegehren gegen das drohende bürgerliche Leben, das abzulehnen man die Kraft nicht hat.

Manchen mag Strauß auch vergangenes Jahr in einer der Debatten über die Neuen Rechten untergekommen sein, als es hieß, er schreibe im "Gewand der Romantik" Pamphlete mit Rechtsdrall und habe den rechten Verleger Götz Kubitschek in seinen "Jungen Salon" in Berlin eingeladen. Das Treffen in dem Salon, in dem auch Linke und Menschenrechtsaktivisten diskutieren, verlief – was nicht erwähnt wurde – kontroversiell. Und bestimmt wäre der Rummel um die Aussagen des jungen, wertkonservativen Mannes und überzeugten Proeuropäers geringer gewesen, würde es sich bei ihm nicht um den Sohn von Botho Strauß handeln, der vor 25 Jahren mit seinem raunenden Anschwellender Bocksgesang dem wiedervereinigten Deutschland seinen ersten Feuilletonskandal bescherte.

Hinein ins römische Leben

Doch zurück zum Buch Römische Tage, dessen Inhalt sich recht kurz zusammenfassen lässt. Ein junger Ich-Erzähler erzählt im Präsens, wie er der Langeweile in der Komfortzone seines Lebens in Deutschland zu entkommen versucht. Er ist nach Rom geflohen, "um die Gegenwart abzuschütteln, das Schnipsen in Ohr loszuwerden". Doch es ist noch etwas anderes, das Herz schmerzt, die Kardiologen wissen nicht genau, warum, es kann eine Entzündung des Muskels sein oder einer Sehne. Ist die Erkrankung gar psychosomatisch? Egal, der Erzähler, der für zwei Monate – Juli und August – gegenüber der Casa di Goethe Quartier bezogen hat, beschließt, sich ins Leben Roms zu stürzen.

Zunächst tut er das, was alle Rom-Besucher tun, er streift über die Piazza Navona, schreitet über die Spanische Treppe, besucht die Ausgrabungsstätte Torre Argentina. Er treibt sich in der Borghese-Kapelle, im Kolosseum und Museen herum, aber auch in der heruntergekommenen Peripherie der Stadt, wo er auf ein Flüchtlingslager stößt, vor dessen Eingang auf einem Transparent steht: "Wir sind nicht das Problem, wir sind euer Spiegel". Natürlich trifft der Erzähler auf seinen Streifzügen eine geheimnisvolle Schöne, der das Leben nicht richtig gelingen will. So wie ihm, der zuweilen in Tagträumen versinkt, die das Buch ins Irreale entrücken.

Interessant ist die autobiografisch grundierte Erzählung – Strauß verbrachte vergangenes Jahr zwei Monate in Rom – in der Genauigkeit des Blicks, um die sich der Autor bemüht. Herausgekommen ist ein bildmächtiger Text über das Sehen – auch das Verschwundene, nur Spürbare. Und die Moderne? Ganz angekommen ist sie in Rom nicht, dieser Stadt mit Ruinen aus drei Jahrtausenden. Das interessiert den studierten Altertumswissenschafter Strauß weniger, vielmehr ziehen sich Fragen wie "Wer bin ich?", "Wer möchte ich werden?" wie ein roter Faden durch die Schilderungen eines Erzählers, der nichts so fürchtet, wie in ein versteinertes, visionsloses Leben zu geraten.

Traumfabrik Europa

Das macht Römische Tage zu einem in seinem Aufbegehren sympathischen, ein bisschen eitlen, von einer existenziellen Erfahrung grundierten Buch der Selbsterforschung. Wie in Strauß' Debüt wird auch hier vieles gesehen, viel geredet (auch über Europa, diese "alte Traumfabrik") und vor allem viel empfunden. Letzteres unterscheidet Strauß' Schreiben auch von literarischer Meterware. Wer mehr über die von Strauß angedeutete politische "crisi totale" erfahren will, in der Rom steckt, dem sei der Band Zurück nach Rom (Lenos, 2012) von Dante Andrea Franzetti empfohlen. Es ist das beste Buch, das diesbezüglich in den letzten Jahren geschrieben wurde. (Stefan Gmünder, 22.6.2019)