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Michael Ignatieff muss mit einer ganzen Uni umziehen.

Foto: REUTERS/Bernadett Szabo

Man hatte den Eindruck, dass die Dankbarkeit von Herzen kam. George Soros wurde Freitagabend für seinen Einsatz für Demokratie und freie Wissenschaft der Schumpeter-Preis verliehen. Der aus Ungarn stammende Investor und Philanthrop nahm die von Notenbankgouverneur Ewald Nowotny überreichte Auszeichnung mit Freude an und betonte seine Verbundenheit mit Österreich. Die wird künftig noch wachsen, wurde die von ihm in Budapest betriebene Central European University (CEU) doch mehr oder weniger aus Ungarn verjagt.

Sie wird ihre Zelte in Wien aufschlagen, weshalb er öfters hier sein werde, wie Soros sagte. Zu dem österreichischen Ökonomen Joseph Schumpeter fühlte sich der 88-Jährige stets hingezogen. Schumpeters Konzept der schöpferischen Zerstörung habe "heute besondere Bedeutung", sagte er. Neben dem Preis und der CEU gibt es einen weiteren Anknüpfungspunkt zu Österreich: Beim emigrierten Philosophen Karl Popper studierte der ebenfalls ausgewanderte Soros an der London School of Economics.

Der nach dem Ökonomen und Sozialwissenschafter Joseph Schumpeter benannte Preis wird für innovative Leistungen auf den Gebieten der Wirtschaft, der Politik und der Wirtschaftswissenschaften verliehen.

Vor der Verleihung sprach Michael Ignatieff, Präsident und Rektor der CEU, mit dem STANDARD über Orbáns Politik und darüber, warum Europas Verträge keinen adäquaten Schutz der Freiheit der Wissenschaft gewährleisten.

STANDARD: Im September wollen Sie mit der CEU in Wien neu durchstarten. Alles auf Schiene?

Michael Igantieff: Die Sache läuft gut, wir haben in der Quellenstraße ein Gebäude gemietet, es wird neu ausgestattet, wir haben Unterkünfte für unsere Studenten und Mitarbeiter sichergestellt. Im ersten Jahr wird unser Lehrkörper von Budapest nach Wien pendeln. Im zweiten Jahr werden wir dann den Rest nach Wien verlegen. Der Empfang hier war ein sehr willkommener Kontrast zu Budapest.

STANDARD: Haben die ständigen Angriffe auf die CEU eigentlich dazu geführt, dass potentielle Studenten oder Mitarbeiter abgeschreckt wurden?

Ignatieff: Ich habe es eigentlich erwartet, dass wir Probleme bekommen. Aber wir haben 2017/2018 mehr Bewerbungen gehabt als das Jahr zuvor. Die Krise hatte den seltsamen Effekt, dass wir bekannter wurden und das zu mehr Bewerbungen geführt hat. Die Menschen fühlen sich von der Mission der Universität – nämlich für die Freiheit der Wissenschaft und Europäische Werte zu kämpfen – angezogen.

Aber ich werde hier nicht vortäuschen, dass alles einfach war. Die Universität wurde drei Jahre lang, 24 Stunden, sieben Tage die Woche attackiert. Man fuhr jeden Morgen zur Arbeit und die Zeitungen waren voll von Kritik gegen die CEU. Wenn man in die U-Bahn einstieg, sah man ein Plakat, auf dem George Soros angegriffen wurde. Das schaffte eine Atmosphäre von Stress.

Wir sind eine kleine Universität, aber das hat uns alle zusammengebracht. Entweder zerbrechen Institutionen unter diesem Druck oder sie werden besser dadurch.

STANDARD: Sind die Angriffe auf die CEU ein rein persönlicher Kreuzzug Viktor Orbáns gegen Soros, oder steckt dahinter eine Angst vor liberalen Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen?

Igantieff: Orbáns Politik braucht Feinde, um die eigene Basis zu mobilisieren. Er dominierte die politische Landschaft in Ungarn, er wollte einen Feind, der groß und gefährlich genug erscheint, um gegen ihn anzukämpfen. Wenn George Soros nicht existieren würde, hätte ihn Viktor Orbán erfunden. Das Resultat ist geradezu grotesk. Es ist fast so, dass, wenn es in Budapest regnet, George Soros die Schuld gegeben wird.

STANDARD: Aus Europa gab es viele Mahnungen. War die Reaktion der EU und ihrer Institutionen Ihrer Meinung nach ausreichend?

Igantieff: Die Europäische Kommission hat getan, was sie tun konnte. Fakt ist aber, dass die Verträge nicht die notwendige Sprache haben, um die Freiheit der Wissenschaft zu verteidigen, wenn sie in einem Mitgliedsstaat angegriffen wird. Das ist die harte Wahrheit, die die Geschichte der CEU erzählt. Es wurde eine wichtige Schwachstelle in der institutionellen Architektur der EU aufgezeigt. Die Sprache der europäischen Verträge ist im Prinzip Handelsrecht. Wenn man eine Universität zusperrt, besteht die Vertragsverletzung darin, dass man in die kommerziellen Rechte eingreift. Das ist nicht die richtige Art, darüber nachzudenken. Ja, wir sind auch eine Firma, aber das ist das Unbedeutendste, was man über uns sagen kann. Wir sind als Universität eine Institution, die die Demokratie verteidigt.

STANDARD: Die Entwicklungen im Universitätsbereich sind immer wieder Thema im Westen. Was eine Ebene darunter – in den Schulen Ungarns – passiert, geht fast unter.

Igantieff: Die CEU ist Teil einer viel größeren Geschichte. Orbán kam an die Macht, veränderte die Verfassung zu seinem Vorteil, schränkte die Autonomie der Gerichte ein, und dann griff er die wissenschaftlichen Institutionen an. Er begann mit der CEU und fährt nun mit der Akademie der Wissenschaften fort. Jetzt werden die Schulpläne umgeschrieben, um die Herrlichkeit Ungarns zu betonen und wie sehr Ungarn im 20. Jahrhundert gelitten hat. All das, um ein nationales Narrativ der ewigen Unschuld zu schaffen. Sprechen Sie doch mit einem Budapester Juden über die ewige Unschuld Ungarns. Wir sehen eine ideologische Konsolidierung. Ungarn ist ein Ein-Parteien-Staat, der eine Ideologie der christlichen Kultur vorgibt, die durch alle Institutionen der Gesellschaft verbreitet werden soll. Die Frage ist, ob es funktioniert. Ich hoffe, nicht.

STANDARD: Wir schreiben das Jahr 2019 und sprechen darüber, dass ein EU-Mitgliedsstaat die Schulpläne umschreibt und eine Universität aus dem Land vertreibt. Wie konnte es so weit kommen?

Igantieff: Ich hatte immer diese Fantasie über Europa, dass schlussendlich ein Moment kommt, in dem die Kanzlerin Deutschlands oder der Präsident Frankreichs den Telefonhörer in die Hand nimmt und den Premierminister Ungarns fragt: "Was machst du, Viktor?" Aber der Telefonanruf findet nicht statt. Das muss jeder verstehen: Selbst in Fällen, in denen ein kleines Mitgliedsland stark von strukturellen Zahlungen, die aus der Geldbörse österreichischer und deutscher Steuerzahler kommen, abhängt, wird dieser Hebel nicht verwendet. Ich finde das verstörend. In zehn Jahren könnten wir ein Europa haben, das nur zur Hälfte demokratisch ist. Ich glaube nicht, dass Europa dann zusammenhält. Europa hält als Union der Demokratien zusammen oder gar nicht. (Stefan Binder, 23.6.2019)