Nestor El Maestro holte als Cheftrainer mit Spartak Trnava 2,03 und bei ZSKA Sofia 2,25 Punkte pro Spiel. Ein Schnitt über zwei reicht in Österreich meist zum Vizemeistertitel.

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STANDARD: Wie soll der SK Sturm Graz im November Fußball spielen?

El Maestro: Erfolgreich. Erfolgreicher als zuletzt, vielleicht anknüpfen an die Erfolge aus der jüngsten Vergangenheit. Wenn man es ganz romantisch sehen möchte, anknüpfen an die Erfolge der längeren Vergangenheit, das wäre schon richtig geil. Wenn Sie taktisch meinen, da erzählt keiner so richtig die Wahrheit…

STANDARD: Soll es in eine Richtung gehen?

El Maestro: Ich lege meine taktischen Überlegungen nicht öffentlich dar, aber wenn Sie möchten, kann ich wiederholen was jeder Trainer wiederholt…

STANDARD: Bei der Antritts-Pressekonferenz haben Sie gesagt, über sehenswerten Offensivfußball zu reden ist schön, das Umsetzen schwierig. Aber ist das überhaupt das Ziel? Es gibt ja auch Trainer, die in erster Linie reaktiv spielen, gerade bei Sturm ist das schon erfolgreich passiert. Soll es in eine Richtung gehen?

El Maestro: Ich verstehe, was Sie meinen, aber die Fragen sind schwierig. Hätte man es tatsächlich vor, reaktiv zu spielen, darf man es auf keinen Fall sagen. Die Mannschaften, die tatsächlich reaktiv spielen – da siehst du es halt. Die reden nie davon. Nie. Weil es mittlerweile fast Mobbing dagegen gibt. Es ist gefährlich. Du wirst sofort negativ betrachtet, das wird nur im Erfolgsfall toleriert. Und wie man darüber redet ist auch sehr wichtig: Es ist fast politisch unkorrekt, das [reaktives Spiel, Anm.] zuzugeben, falls es der Fall wäre.

Ich habe nicht vor, nur auf Konter zu spielen oder nur reaktiv zu spielen oder die Mannschaft nur auf den Gegner einzustellen. Es wird häufig vergessen, dass das Niveau des Vereins entscheidend in der Auswahl der grundsätzlichen Strategie und Spielstils ist. Die großen Mannschaften, die einen Stil wählen, nach dem man sich orientiert – Manchester City oder Sarris Chelsea mit Dominanz und Ballbesitz oder Juventus Turin mit defensiver Stabilität – das sind alles richtig große Mannschaften, die 90 Prozent ihrer Pflichtspiele gegen deutlich billigere Gegner bestreiten. Da ist der Weg, einen ganz klarer Spielstil zu haben, ziemlich einfach. Ein Verein wie Sturm, der der gehobenen Mitte angehört, wo viele Gegner auf dem Papier unterlegen sind aber auch schon jede Menge auf dem Papier überlegen und teurer sind – da ist eine gewisse Reaktivität oder Einstellung auf den Gegner schon sehr nötig.

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Als Trainer von ZSKA Sofia warf El Maestro die Admira aus dem Europacup.
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Es geht mir in den ersten Tagen und Wochen darum, der Mannschaft ein anderes Gesicht zu geben. Es ist ziemlich schwierig, klare Aussagen zu machen, ohne indirekt jemanden zu kritisieren, das ist von meiner Seite gar nicht gemeint. Ich habe vor jedem, der diesen Job ausübt, enormen Respekt, es ist extrem schwer. Ich glaube auch, dass kein Spielstil inhärent besser ist als ein anderer, deswegen ist es grundsätzlich schwierig, darüber zu reden – aber ich hoffe, eine Mannschaft zu sehen, die in einem sehr organisierten und beweglichen Block gegen den Ball arbeitet. Das heißt: Tief, mittel oder hoch – ziemlich egal, aber die Wechsel dazwischen sind entscheidend. Dass man da die richtige Entscheidung trifft und nicht die Ordnung verliert. Und eine Mannschaft, die es schafft, die Fans hier zu begeistern, wenn wir den Ball haben. Das geht auf unterschiedlichste Arten und Weisen – manche passen besser zu den Spielern, die wir haben und manche weniger; manche passen besser zu einem Gegner und manche zu einem anderen – aber auf jeden Fall möchte man ein bisschen Furore und Emotion.

Man möchte Offensivaktionen entwickeln in jedem Spiel, die Zuschauer mitnehmen und allgemein attraktiven Fußball zu spielen. Davon gibt es in Ländern wie Österreich auch sehr unterschiedliche Auffassungen. Ich spreche jetzt ein bisschen für alle Trainer: Ich weiß, dass ich um Ihre Sprache drumherum rede, aber ich finde die extrem frustrierend. Mir kommt vor, als wüssten die Leute nicht richtig, was sie wollen. Man weiß: Defensiv, tief, Konter, zweite Bälle offensiv, Standards und so – das ist was Negatives, das darf man als Trainer gar nicht sagen in der Öffentlichkeit. Allerdings wird eine Mannschaft, die letzte Saison enorm überraschend Vizemeister wurde und nur so spielt, gelobt ohne Ende. Ich persönlich habe nichts gegen den Spielstil, Fußball ist ein Wettkampf und wenn jemand es schafft, so häufig zu gewinnen – Hut ab. Ich finde es komisch, dass es plötzlich fantastisch ist, wenn man damit Vizemeister wird. Ich habe von Ihren Kollegen den LASK als überragende offensive Mannschaft beschrieben gehört, auch im Fernsehen. Es sei eine "überragende Offensivleistung" – und die Fachmänner schauen sich an und wundern sich.

Oliver Glasners LASK bekam viel Lob.
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Wenn du Worte wie Ballbesitz, Ballkontrolle, Dominanz sagst, wird das gerne gehört. Wenn es in den letzten Jahren einen Trainer gab, der diesen Spielstil gelebt hat und auch umgesetzt hat, war das mein guter Freund und Ex-Chef Thorsten Fink. Wenn ich so lese und höre, was über seinen Spielstil in seiner letzten Zeit bei der Austria geschrieben wurde, meine ich, ich wäre im falschen Film. Diese Spielphilosophie, die für alles, was eurer Meinung nach richtig ist, steht und alternativlos war – er hat in jedem Spiel versucht, zu dominieren und Fußball zu spielen. Irgendwann heißt es dann, es ist langweilig, …

STANDARD:…Stehfußball…

El Maestro: …Stehfußball, und so weiter. Dann wundere ich mich. Es ist ein bisschen so, als wenn dich deine Freundin fragt, wie viele Freundinnen du vor ihr hattest. Es gibt eine Wahrheit, aber jede Antwort ist falsch und am besten sagst du gar nichts. So ist diese Frage: Was genau werdet ihr spielen? Ich habe‘ die Frage natürlich nicht beantwortet, aber ein bisschen was gesagt.

STANDARD: Auch aufschlussreich. Sie haben gemeint, manches passt besser zum Kader, manches schlechter. Haben Sie schon ein Gefühl?

El Maestro: Ein bisschen, aber ich habe erst vier Trainingseinheiten mit der Mannschaft absolviert (das Gespräch fand vergangenen Donnerstag statt, Anm.). Grundsätzlich bin ich der Meinung – und einige sehr große Trainer teilen meine Meinung, einige nicht – dass das Spiel im Offensivdrittel zwar nicht zu hundert Prozent, aber schon brutal abhängig ist von den Fähigkeiten meines Hauptstürmers. Der Mann, der für die Tore sorgen soll. Da ist die erste Frage bei Sturm: Wer ist das? Das kann ich heute noch nicht sagen. Nach dem Motto: Wenn du einen Stürmer hast, dessen Hauptwaffe das Verwerten von Flanken ist, dann musst du schon schauen, dass du Flanken bringst, sonst ist der sinnlos. Und wenn ich weiß, ich muss möglichst viele Flanken schlagen, geht das rückwirkend bis zum Torwart. Wie komme in Situationen, wo ich vernünftige Flanken schlagen kann, sodass mein Stürmer ein Tor macht? Wenn mein Stürmer ein überragender Konterspieler ist, muss ich schon schauen, dass sich diese Spielszenen entwickeln. Und wenn mir das nicht recht ist, muss ich einen anderen wählen. Es gibt dafür konkrete Beispiele…

STANDARD: Und zwar?

El Maestro: Eine Mannschaft, die sehr negativ gesehen wurde, trotz überragender Erfolge, Atletico Madrid: Die haben immer einen Weltstar-Stürmer, der wird aber häufig verkauft und ausgetauscht. Was die gegen den Ball spielen ist grundsätzlich immer gleich, das Spiel im Offensivdrittel ändert sich aber enorm, abhängig davon wer in der Spitze spielt. Spielte Falcao, war das total unterschiedlich zu Griezmann oder Costa, weil sie total unterschiedliche Typen sind. Wenn Sie mich fragen, welchen Typen ich am liebsten habe, sage ich Ihnen: Ziemlich scheißegal, Hauptsache der hat richtig Qualität.

STANDARD: Es spielt der Einserstürmer ja nicht jedes Spiel 90 Minuten durch. Versucht man da, Ersatzleute mit denselben Fähigkeiten zu haben oder ist es realistisch, in einigen Monaten mehrere Varianten einzutrainieren?

El Maestro: Mehrere Varianten ist einfacher. Wir müssen immer wissen, wo wir uns befinden, damit meine ich ganz banal: Welche Gehälter zahlen wir? Da ist es sehr schwer, deinen Markt so zu filtern. Wie bei einer Wohnungssuche, wie ich es gerade mache: Es ist schön, wenn du ein reicher Mann bist und sowieso jede Wohnung in Graz zahlen kannst. Dann sagst du, du hättest gerne einen Balkon, Tiefgarage, ein riesiges Wohnzimmer, Einbauküche, sie soll möglichst möbliert sein und am Jakominiplatz. Das können andere Mannschaften in Österreich vielleicht machen, aber nicht wir. Wir müssen das genauso wie ich machen, da schaust du: Was kannst du zahlen und was ist das Beste, was du dafür kriegst? Wenn dann der eine oder andere Kompromiss dabei ist und du auf der Straße parken musst, ist das eben so.

El Maestro beim Training.
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STANDARD: Welche Attribute suchen Sie bei Spielern, dass sie in Ihre Herangehensweise passen?

El Maestro: Charakter in erster Linie, Laufbereitschaft in der zweiten. Und dann auf der einen oder anderen Position das, was ich Entscheiderqualität nenne – da brauchst du nicht mehr als zwei oder drei. Das sind Leute, die es häufig schaffen, aus dem Nichts Tore vorzubereiten oder zu erzielen. Das ist extrem wertvoll für einen Trainer. Da kannst du häufig gut aussehen nach einem Spiel, obwohl du gar nicht so geil gespielt hast. Immer, wenn es solche Spieler bei Sturm gab, die dann auch die richtige Form gehabt haben – ich sage nicht, dass es in der Theorie nicht jetzt welche gibt – aber immer, wenn es Peter Zulj gibt, spielst du auf Augenhöhe mit dem Gegner und hast trotzdem gewonnen, weil der drei Leute ausgetanzt hat und das Tor geschossen hat. Das hat wenig mit Taktik zu tun. Das sind aber die Leute, die am schwierigsten zu bekommen sind. Charakter und Laufstärke haben wir hier, deswegen habe ich keinen Stress, weil das ausreicht für vernünftigen Fußball, vernünftige Ergebnisse und eine vernünftige Saison. Damit bestehst du. Wieviel Fantasie ich für Großes habe, ist abhängig von diesen Entscheidertypen. Schaffe ich es welche zu entwickeln, die schon da sind? Kommen welche dazu? Das werden wir dann sehen.

STANDARD: Das ist wohl auch relativ untrainierbar.

El Maestro: Es sind meistens Leute, die grundsätzlich ein höheres Level haben als das was wir haben bei Sturm.

STANDARD: Was entscheidet bei einem Fußballspiel über Sieg und Niederlage?

El Maestro: In jedem Einzelspiel auf vergleichbarem Niveau, wie zum Beispiel in der Bundesliga, ist Glück der entscheidendste Faktor. Diese Variable ist so groß, dass du damit lebst oder stirbst. Das andere, das nicht Glück ist, ist auf einen längeren Zeitraum gesehen extrem wichtig. Viele Aspekte kommen zusammen, jeder sieht das ein bisschen anders. In meiner kurzen Cheftrainerkarriere habe ich von einer unfassbaren Konstanz in vielen statistischen Elementen gelebt, die viel mit der taktischen Ausrichtung zu tun hat, aber auch viel mit der psychologischen Vorbereitung der Spieler. Zum Beispiel: Ich habe bis jetzt in meiner Profikarriere über 95% der Begegnungen gegen einen auf dem Papier schwächeren Gegner gewonnen, also Playoff 1 gegen Playoff 2 (El Maestro gewann mit zwei Ausnahmen sämtliche Spiele gegen Clubs, die am Saisonende nicht unter den Top sechs waren, Anm. d. Red.). In Österreich ist das schwieriger, als da wo ich bis jetzt war, hier werden grundsätzlich mehr Punkte verloren. Aber davon haben meine Mannschaften gelebt. Das andere: Wenn ich 1:0 in Führung gehe, gewinne ich fast jedes Spiel (In 66 Pflichtspielen als Cheftrainer gab El Maestro nur zweimal ein 1:0 aus der Hand, Anm. d. Red.). Das ist eine Konstanz, die mich bisher ausgemacht hat. Natürlich werde ich versuchen, das wieder zu erreichen, aber ich kann das nicht hundertprozentig versichern, weil ich nicht weiß, was die Variable Glück in all diesen Spielen gemacht hat. Das eine oder andere Mal sicher etwas für mich.

STANDARD: Wie bringt man ein 1:0 so verlässlich über die Bühne?

El Maestro: Es hat etwas mit dem zu tun, das ich Zeit-Ergebnis-Dynamik des Spiels nenne. Es gibt Ligen, Österreich ist eine davon, wo sehr häufig zwei Mannschaften aufeinander treffen, die sich vorbereitet haben, einen Plan haben. Die spielen ihren Plan durch und am Ende gewinnt einer. Es ist aber schon erreichbar, die Ergebnisdynamik des Spiels zu lesen und sich daran anzupassen. Das ist jetzt nicht viel Rederei, um zu sagen: Du schießt das 1:0 und dann stellst du dich hinten rein, denn das funktioniert sehr selten. Genau dann kriegst du den Ausgleich. Es hat etwas mit Risikobereitschaft beim von hinten Rausspielen zu tun – wann ja, wann nein? Abhängig von Zeitpunkt und Ergebnis. Es hat etwas mit der Dynamik des Ballbesitzspiels zu tun – wann quer, wann vertikal? Und verschiedene andere Aspekte. Ich werde versuchen, wiedermal rüberzubringen, wie man ein Spiel auf Augenhöhe – und das sind in Österreich fast alle – vielleicht ein bisschen schlauer spielt.

STANDARD: Wie laufen da Änderungen im Spiel ab, können die Spieler das graduell ändern? Oder ist das binär: Jetzt spielen wir kurz, jetzt lang?

El Maestro: Das ist ein bisschen zu einfach. Grundsätzlich: Wenn man eine klare, wiedererkennbare Idee entwickeln möchte, ist der beste Weg, alternativlos zu sein. Das heißt: Wenn du von hinten rausspielen möchtest, dann auf jeden Fall, in jeder Szene, immer. Es gibt ein paar Vereine in Europa, die es auf diese Art und Weise machen und richtig erfolgreich sind. Wenn du das Gegenteil davon spielst, also total ohne Risiko, wenn du den Fußball so siehst, dass du sagst: Wer weniger Fehler macht, gewinnt das Spiel, dann spielst du es eben wie Diego Simeone – das ist dann auch total alternativlos. Da wird der Innenverteidiger vom Torwart kein einziges Mal angespielt, da wird jeder Freistoß in der eigenen Hälfte hoch geschlagen und es wird auf den zweiten Ball positioniert. Nicht, weil sie schlechte Fußballer sind – das sind teilweise Weltstars, technisch überragende Spieler. Diego Godin ist die letzten fünf oder sechs Jahre vielleicht der beste Innenverteidiger der Welt gewesen, schlägt aber ohne Druck unzählbare lange Bälle nach vorne – weil der Spielstil alternativlos ist. Das sind jetzt positive Beispiele.

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Diego Simeone, ein Vertreter des "alternativlosen" Fußballs.
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Negative Beispiele für beides gibt es viel mehr: Mannschaften, die versucht haben, optisch sehr schön zu spielen, sind damit gnadenlos gescheitert und Mannschaften, die total risikolos gespielt haben und damit auch gnadenlos gescheitert sind, weil das positive Umsetzen viel schwieriger ist. Mein Weg ist, zu sagen, ich möchte einen ehrlichen Fußball spielen. Mit ehrlich meine ich nicht einfach. Ich meine aber sehr zielorientiert. Wenn ich den Ball habe, ist mein Ziel, ein Tor zu erzielen. Ich sage dir nicht, ob ich vertikal, Lang- oder Kurzpass präferiere. Aber wofür ich mich entscheide, ist zu hundert Prozent, weil ich meine, dass ich so mit der höchsten Wahrscheinlichkeit ein Tor erziele – und nicht von anderen Faktoren, wie zum Beispiel, was die Leute sagen oder wie es aussieht. Weil ich weiß: Im Misserfolgsfall bist du der Schlechteste, wenn du risikolos spielst, aber auch wenn du richtig schön spielst, wie mein Freund Thorsten Fink. Ich muss gucken, dass ich Spiele gewinne.

STANDARD: Vielleicht verstehe ich da jetzt etwas nicht ganz, aber Sie haben vorher gemeint, sie müssten einerseits schlau spielen und sich auch auf den Spielverlauf einstellen, aber bleiben manche Sachen dann trotzdem alternativlos…

El Maestro: In deinem eigenen Rahmen. Eine Mannschaft, die extreme Zeit-Ergebnis-Dynamik hat ist Manchester City. Wie oft hat diese vielleicht attraktivste Mannschaft der Welt im Endspurt des Titelrennens in England 1:0 gewonnen?

STANDARD: Oft genug. (drei der letzten fünf Ligaspiele, Anm. d. Red)

El Maestro: Verwunderlich oft am Ende. Da waren wenige 5:0-Galas dabei, aber es gab eben auch keine so richtigen Zitterpartien. Man hat immer den Eindruck gehabt, die haben die totale Kontrolle, irgendwann ist es 1:0 gestanden und so ist es bis zum Ende geblieben. Trotzdem haben sie ihre Identität nicht verloren, die haben gespielt, was sie immer spielen. Aber das ist eine komplizierte Aufgabe (lacht).

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Pep Guardiola war im Saisonfinish "Mr. 1:0".
Foto: AP Photo/Frank Augstein

STANDARD: Wie viele Matches schauen Sie pro Woche?

El Maestro: Nicht so viele, das ist ein großer Nachteil meiner Cheftrainertätigkeit. Ich habe ein bisschen das Romantische, das Fansein des Fußballs verloren. Man wird irgendwann übersatt. Live schaue ich nicht viel, nach Gelegenheit den nächsten, übernächsten, drittnächsten Gegner. Wir Trainer schauen alle sehr viele Videos unserer Mannschaft und der nächsten Gegner. Mir persönlich kommt nach einem ganzen Tag vor dem Laptop am Abend ein CL-Gruppenspiel von Barcelona wie etwas vor, das mit mir nichts zu tun hat. Da verzichte ich häufig darauf.

STANDARD: Sie nehmen in Interviews oft Bezug auf große Trainer von Arrigo Sacchi bis Diego Simeone. Was war das letzte große Ding, das Sie für das Trainergeschäft gelernt haben?

El Maestro: Taktisch kommt es mittlerweile selten vor, dass ich einen Heureka-Moment habe. Früher war das häufiger der Fall. Man orientiert sich immer an den erfolgreichen Mannschaften, man geht davon aus, dass sie etwas richtig machen. Dann schaust du eine erfolgreiche Mannschaft und es sieht total gut aus und funktioniert immer. Dann zerbrichst du dir den Kopf: Warum eigentlich? Also nicht, was passiert, sondern: Was ist die Vorgabe? Was üben die, das anders ist als bei den anderen? Und dann, wenn du genug schaust, kriegst du es irgendwann raus. Es ist nicht das Einfachste der Welt, aber Fußball ist auch keine Quantenphysik. Und dann verstehst du es und dann läuft es so weiter. Es ist auch Übung: Je mehr du schaust und analysierst, desto früher erkennst du es. Ich habe meine Chefs immer bewundert: Ich habe die Spiele für sie analysiert, mich tagelang damit gequält – und sie haben die Hälfte der ersten Halbzeit geschaut und gesagt: Das reicht. Mein erstes Gefühl war, dass sie faul wären – aber dann redest du mit ihnen und sie haben dasselbe gesehen wie ich, nur dass ich eineinhalb Tage gebraucht habe. Ich brauche mittlerweile aber auch weniger Zeit. Was war die Frage?

STANDARD: Das letzte große Ding…

El Maestro: Ich habe viele positive Statistiken, aber auch negative. Meine Kritiker sagen, ich schaffe es nicht, als Cheftrainer Derbys zu gewinnen. Das ist statistisch tatsächlich wahr. Vor ein paar Monaten habe ich zufällig das Video von Zinedine Zidane zur Halbzeit eines Champions-League-Finale mit Real Madrid gesehen. Zunächst war es für mich eine Riesenenttäuschung, wie dieser Typ gar nichts gesagt hat und gar nichts gemacht hat. Das war so langweilig, so alltäglich, das war eine Enttäuschung. Dann hab ich darüber nachgedacht und bin am Ende zu dem Schluss gekommen – ich weiß jetzt nicht, ob der richtig ist – dass gerade in diesen ganz großen Spielen die Nervosität rauszunehmen und Ruhe und Souveränität auszustrahlen, entscheidend ist. Ich weiß, dass eine Mannschaft die Emotionen eines Trainers häufig absorbiert. Wenn der Trainer nervös ist, ist es die Mannschaft auch oft. Wenn der Trainer rumschreit und Sachen durch die Gegend schmeißt, nimmt die Mannschaft zumindest einen Teil davon auf. Es ist auch nicht gut, wenn du auf der Bank schläfst. Aber genau in diesen Spielen die Ruhe zu bewahren, sachlich zu bleiben und Sachen zu besprechen, davon war ich im Nachhinein beeindruckt. Ich habe in solchen Derbys versucht, besonders zu sein, noch mehr zu motivieren.

Die von El Maestro angesprochene Halbzeitansprache.
UEFA

STANDARD: Sie haben bei Ihrer Antritts-Pressekonferenz von "vielleicht einen Traum verwirklichen" gesprochen. Haben Sie da etwas Konkretes im Kopf?

El Maestro: Traum ist immer ein hochunwahrscheinliches Sensationsergebnis, was auch immer das beim jeweiligen Verein heißt. Bei Spartak Trnava wurde ich zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte Meister, das war zum Beispiel ein Traum. Einer, den ich nicht laut gesagt habe, bevor es sehr wahrscheinlich wurde (lacht). Nicht mit zwei Punkten Vorsprung, nicht mit sechs Punkten Vorsprung – erst mit zehn Punkten Vorsprung sechs Runden vor Schluss. Aber er war ziemlich früh schon im Hinterkopf. Weißt du, wir Fußballtrainer sind mittlerweile fast wie Politiker. Es gibt keine Wahl an sich, aber besonders bei Vereinen, die auch rechtlich Vereine sind wie in Spanien, Deutschland oder auch Österreich, wo der Verein keinem gehört, da fragst du: Wem gehört der Verein? Den Fans. Es gibt keine direkte Wahl wie in der Politik aber auf eine Art wird viel von dieser allgemeinen Stimmung getrieben, besonders in Sachen Trainerwechsel und so weiter.

STANDARD: Gerade in Graz.

El Maestro: Gerade in Graz vielleicht, ja. Ich rede vielleicht mit dem einen oder anderen Fan bei zufälligen Treffen im Supermarkt oder auf der Straße, aber wie ein Politiker redet man mit den Fans durch die Medien. Und da muss man brutal aufpassen, man darf die Fans auf gar keinen Fall anlügen. Aber manche Sachen sagt man eben auch nicht, weil die Leute das danach wie Waffen benutzen können. Wenn ich sage: Ich möchte höchst attraktiv spielen und sehr erfolgreich und ich möchte die Leute vom ersten Tag an mit Power, Dynamik und Zielstrebigkeit beeindrucken, dann wäre das schon sehr nahe an der Wahrheit. Aber wenn ich das sage und wir verlieren am Anfang ein paar Spiele, dann ist die Situation für mich mit diesen Aussagen noch schwieriger als ohne dieser Aussagen. Wie viele Trainer – außer du bist bei Bayern oder Salzburg – sagen: Ich träume von der Meisterschaft, vom Pokalsieg, von den großen europäischen Abenden, wo du Tage zuvor eine besondere Stimmung in der Stadt spüren kannst? Das sagt niemand, aber jeder denkt es. Ich glaube, jeder Trainer, sogar auf Amateurniveau, hat an einem ruhigen Nachmittag zuhause in seinem Kopf schon eine Schale gehoben. Sagt man aber nicht wegen der politischen Hintergründe.

STANDARD: Ich stelle jetzt nicht die Frage nach Ihrer Namensänderung.

El Maestro: Sie sind mein Freund.

STANDARD: Aber was verbindet den 36-jährigen Nestor El Maestro mit dem 17-jährigen? Wo ticken Sie noch genauso wie vor 19 Jahren?

El Maestro: Gute Frage. (Denkt nach.) Ich gebe jetzt keine Klischeeantwort: Nicht viel. Ich bin ein total unterschiedlicher Mensch für Außenstehende. Wenn ich an mich zurückdenke, wie ich war, schäme ich mich fast. Es wäre mir peinlich. Nicht weil ich wahnsinnig war oder so, aber es kommt mir naiv, jung, unintelligent vor – und ich meine jetzt nicht die Namensänderung, sondern allgemein. Ich war zum Beispiel früher viel arroganter. Ohne irgendetwas zu wissen, habe ich gedacht, ich wäre ein richtig geiler Trainer. Und es hat Jahre gedauert, dass ich verstehe, wie wenig ich damals verstanden habe. (Lacht.) Unfassbar…aber trotzdem habe ich über viele Jahre erfolgreiche Trainer unterstützt, letztendlich haben wir erfolgreich gespielt. Es kommt mir so komisch vor, wie wenig Ahnung ich hatte, aber auf welchem großen Niveau ich gearbeitet habe. Ich war ja auf der Bank in einem Champions-League-Viertelfinale, in einem Euro-League-Viertelfinale. Ich habe auswärts gegen Bayern München so oft gespielt, dass ich mich gar nicht mehr an die Ergebnisse erinnern kann. Aber ich muss sagen, ich hatte dabei ziemlich wenig Ahnung. Wir haben sogar Bayern das eine oder andere Mal geschlagen. Im Gegenteil: Ich glaube und hoffe, dass die Leute, die in meinem inneren Kreis sind, die Leute, die mich richtig kennen, meinen würden: Ich bin ziemlich der gleiche Mensch, was die Grundsätze des Lebens betrifft. Ich habe genau dieselben Vor- und Nachteile wie damals. Meine Eltern, die mich 36 Jahre kennen, ärgern sich über mich und meckern wegen den ziemlich gleichen Dingen wie damals. Und meine Frau, die mich seit zehn Jahren kennt – wenn wir streiten, dann sind es dieselben Gründe. Ich nenne jetzt keine Beispiele, sonst wird sie sauer, aber das bleibt irgendwie.

STANDARD: Dieser Entwicklung schadet es wahrscheinlich nicht, wenn man Co-Trainer eines Mirko Slomka ist. Haben Sie noch Kontakt mit ihm und Thorsten Fink?

El Maestro: Viel, viel. Mit beiden habe ich das letzte Telefonat vor ein paar Tagen geführt. Bei Mirko hat es mich natürlich interessiert, wie es bei Hannover läuft, ich war ja vier Jahre da. Es ist für mich eine besondere Stadt und Verein, da ist auch viel in meinem Privatleben passiert: Ich habe meine ersten zwei Kinder bekommen, habe geheiratet. Thorsten und seine Assistenten, mit denen ich bei der Austria gearbeitet habe, sind gute Kumpels und gerade wenn man Andres Iniesta und David Villa in Japan trainiert, gibt es einiges zu erzählen.

STANDARD: Deutsche Medien haben geschrieben, dass Sie auch bei Hannover und Union Berlin im Gespräch gewesen wären. Können Sie das bestätigen?

El Maestro: Kann ich. Bei Union Berlin war ich mehrmals vor Ort und habe mich mit Entscheidungsträgern getroffen. Das war vorigen Sommer, als sie dann Urs Fischer genommen haben. Wunderbare Leute, total geiler Verein, ich wollte das unbedingt machen, weil ich der Meinung war, dass da was richtig Großes geht – was sich bestätigt hat. Sie waren häufig nah dran, es lag an Details und ich dachte optimistisch: Vielleicht bin ich ja die Legende, die es tatsächlich schafft, in die Bundesliga aufzusteigen. Ich war voll heiß auf den Job, letztendlich haben sie sich für einen viel erfahreneren Trainer, einen größeren Namen entschieden, das habe ich absolut verstanden. Ich war schon leicht enttäuscht, das nächste vernünftige Angebot habe ich dann genommen. Das kam aus Bulgarien. Mit Hannover gab’s keine direkte Kontaktaufnahme, keine Treffen. Wäre auch unlogisch, wenn Mirko dafür bereit ist. Er war ja mein Chef und nicht ich seiner.

STANDARD: Haben sie eine Ausstiegsklausel bei Sturm?

El Maestro: Nein.

STANDARD: Danke für das Gespräch. (Interview: Martin Schauhuber, 24.6.2019)