Diese Bilder von Maurice Denis schmückten einst den Musiksalon von Iwan Morosow. In der Eremitage finden sie wieder zueinander.

Foto: Herwig G. Höller

Eine Wand voller Gauguins – im Moskauer Puschkin-Museum. Gegenüber hängt Matisse' berühmtes Großformat "Der Tanz".

Foto: Herwig G. Höller

Textilmagnaten ist es zu verdanken, dass Werke von Bonnard, Cézanne, Gauguin, Matisse, Monet, Picasso und Renoir schon sehr früh nach Russland kamen. Nach der Oktoberrevolution 1917 dekretierte Lenin allerdings die Verstaatlichung der beiden wichtigsten Privatsammlungen von Sergej Schtschukin sowie der Brüder Morosow. Nach einem Zwischenspiel im 1948 von Stalin aufgelösten Museum für neue westliche Kunst wurden die Werke zwischen dem Puschkin-Museum in Moskau und der Eremitage in St. Petersburg aufgeteilt. Dort sind sie jetzt neu in ganz großem Stil zu bewundern.

Großangelegte Ausstellungen in den beiden Museen präsentieren seit dieser Woche die Sammlungen von Schtschukin sowie der Morosows in einem Umfang, der seit den Dreißigerjahren nicht mehr an einem Ort zu sehen war. Interesse daran besteht jedenfalls. Denn als 2016 eine reduzierte Variante der aktuellen Schtschukin-Schau in der Fondation Louis Vuitton in Paris zu sehen war, kamen 1,2 Millionen Besucher.

Geld und Gespür für das Schöne

Schtschukin. Die Biografie einer Sammlung im Moskauer Puschkin-Museum konzentriert sich nicht nur auf die berühmte Sammlung von Sergej Schtschukin (1854– 1936), sondern dokumentiert erstmals auch eher unbekannte Aktivitäten seiner Brüder. Neben Geld gab es in dieser Textilmagnatendynastie ein branchenbedingtes Gespür für das Schöne: Pjotr sammelte angewandte Kunst, Dmitri präferierte Niederländer des 17. Jahrhunderts, Iwan war eine Societygröße in Paris – seinen Salon besuchten Rodin, Degas oder Renoir.

Sergej begann sich als letzter der Brüder mit Kunst zu beschäftigen, mit seiner Konzentration auf die damalige französische Avantgarde hatte er jedoch den besten Riecher, auch als Investor: Mit sechs Milliarden Dollar taxierte sein französischer Enkel André-Marc Delocque-Fourcaud den Wert der Sammlung vor über zehn Jahren.

Politikum durch die Jahrzehnte

Die nach der Oktoberrevolution aus Russland geflohene Familie hatte jahrzehntelang ohne Erfolg, aber nicht völlig aussichtslos bei ausländischen Gerichten Klagen gegen die sowjetische Verstaatlichung der Kunstwerke eingebracht. Mit dem Klagsreigen der Erben ist es aber einstweilen vorbei: Präsident Putin verfügte dieser Tage die Verleihung der russischen Staatsbürgerschaft an den Enkel und dessen Gattin. Er sei zwar mit dem historischen "Raub der Schönheit" weiterhin nicht einverstanden, erklärte Delocque-Fourcaud gegenüber dem STANDARD. "Es wäre aber nun unanständig, wenn ich als russischer Staatsbürger im Ausland gegen Russland prozessieren würde", sagte er.

Schtschukin selbst hatte sich während seiner Sammlungsaktivitäten von seinem persönlichen Geschmack leiten lassen, der sich im Lauf der Zeit wandelte. Hatte er anfänglich auf Claude Monet gesetzt, folgten später Paul Cézanne, Paul Gauguin sowie Vincent van Gogh. Schließlich avancierten Nachwuchskünstler zu seinen Lieblingen. Die Qualität des modernistischen Frühwerks von André Derain erkannte er etwa vor der großen Kunstwelt, allein in Schtschukins Privatsammlung hingen stolze 51 frühe Picassos. Der reiche Russe wurde aber auch zum wichtigsten Sponsor von Henri Matisse, von dem 37 Werke nach Moskau gelangten, darunter das großformatige Auftragswerk Der Tanz, eine flächig gemalte, dynamische Szene mit nackten Tänzerinnen und Tänzern.

Blickfang und Potenz

Dieses Schlüsselwerk von Matisse, das seinerzeit Schtschukins Moskauer Stadtpalais schmückte und später dank Stalin in den Bestand der Eremitage übergegangen ist, fungiert derzeit in der Säulenhalle des Puschkin-Museums als zentraler Blickfang. Eine in Anspielung auf die Hängung von Ikonen in orthodoxen Kirchen als "Gauguin-Ikonostase" bezeichnete Wand mit 14 Gemälden des Franzosen unterstreicht gegenüberliegend die Potenz der Sammlung.

In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg machte Schtschukin diese visuelle Kraft bereits für die Öffentlichkeit zugänglich und prägte damit das ästhetische Empfinden
der russischen Avantgardisten. "Niemand außer völlig hoffnungslose Idioten verließ die Galerie als jener Mensch, als der er sie zuvor betreten hatte", schrieb der führende russische Kunsthistoriker Nikolaj Punin in seinen Memoiren.

Weniger, aber vielfältiger

Die Sammlung der Textilmagnatenbrüder Michail (1870–1903) und Iwan Morosow (1871–1921), die seit Freitag in der Eremitage zu sehen ist, war vor der Verstaatlichung durch die Sowjets indes Privatsache. Der auch literarisch begabte Michail hatte sich ab Mitte der 1890er zunächst für russische Kunst interessiert, die ersten Franzosen kaufte er 1901 in St. Petersburg. Den Auftakt machten Intime Phantasie von Albert Besnard sowie Ein Mann, der eine Frucht vom Baum reißt von Paul Gauguin. Nach dem frühen Tod Michails machte der jüngere Bruder Iwan weiter und häufte bis 1914 in seinem Moskauer Palais herausragende Kunst aus Frankreich an.

Was die Anzahl der Meisterwerke betrifft, kann der jüngere Morosow zwar mit seinem guten Bekannten Sergej Schtschukin nicht mithalten. Seine Sammlung erweist sich jedoch als ausgewogener und vielfältiger, der persönliche Geschmack des erfolgreichen Unternehmers, dem kunstsinnige Berater zur Seite standen, spielte eine sichtlich geringere Rolle.

Morosow erwarb jedenfalls eine Fülle herausragender Werke, darunter Cézannes Stillleben mit Zuckerdose. Beim Nachwuchs des frühen 20. Jahrhunderts gibt es jedenfalls überschneidende Interessen mit seinem Konkurrenten. Zahlreiche Gemälde von Matisse illustrieren dies, darunter ein Stillleben mit dem für Schtschukin gemalten Tanz im Hintergrund.

Französisches Geld im Spiel

Highlight der Eremitage-Schau ist die originalgetreue Rekonstruktion des Musiksalons von Iwan Morosow, für dessen Ausgestaltung er beim französischen Symbolisten Maurice Denis 1905 ein knappes Dutzend großformatiger Gemälde in Auftrag gegeben hat. Seit der Schließung des Museums für neue westliche Kunst war dieses Ensem ble, das sich mit antiker Mythologie beschäftigt, nicht mehr komplett gezeigt worden.

Möglich wurde diese Rekonstruktion durch eine Subvention des französischen Multimilliardärs Bernard Arnault. Nach der Schtschukin-Schau vor zweieinhalb Jahren wird Arnaults Fondation Louis Vuitton auch einen großen Teil der Morosow-Sammlung 2020 in Paris zeigen.

Wladimir Putin goss Öl ins Feuer

Die Eröffnungen der beiden Ausstellungen provozierten vergangene Woche aber auch die Wiederbelebung eines russischen Museumsstreits, der 2013 zum Rücktritt der damals 91-jährigen Direktorin des Puschkin-Museums geführt hatte: Irina Antonowa forderte erneut die Wiederherstellung des Westkunstmuseums und damit verbunden die Rückgabe jener Filetstücke aus den Schtschukin- und Morosow-Privatsammlungen, die einst an die Eremitage übergeben wurden. Öl ins Feuer goss am Donnerstag der russische Präsident: In seiner jährlichen Frage- und Antwortsendung im Staatsfernsehen legte Wladimir Putin die Schaffung eines Schtschukin-Museums nahe. Ob dafür ein Aderlass der Eremitage nötig wäre, blieb offen. (Herwig G. Höller aus Moskau, 23.6.2019)