Seit einem Jahr leben in der Radetzkystraße 24-26 in Wien-Landstraße die Bewohner ohne richtiges Dach: Der Eigentümer hatte in einer Hauruckaktion mit dem Abbruch des noch bewohnten Hauses begonnen, um einer Gesetzesänderung zuvorzukommen, die den Abriss alter Häuser erschwert. Seither beurteilt die MA 19 (Architektur und Stadtgestaltung) die Erhaltungswürdigkeit eines Hauses, das vor 1945 errichtet wurde.

Diese Gesetzesänderung trat Anfang Juli in Kraft. Zuvor noch legal begonnene Abbrüche wurden von der Baupolizei umgehend eingestellt, so auch jener in der Radetzkystraße. Viele Häuser waren zu dem Zeitpunkt aber schon dem Erdboden gleichgemacht, weil im Laufe des Frühjahrs ein regelrechter Abrissboom in Wien ausgebrochen war. Baufirmen gingen kurzzeitig ihre Bagger aus, sie rissen händisch ab.

Zahlreiche Baustopps wurden aufgehoben

Laut Zahlen der Baupolizei wurden von 50 eingestellten Abbrüchen seither rund 30 weiter abgebrochen – entweder weil die MA 19 die Bauten seither als nicht erhaltungswürdig eingestuft hat oder weil das Verwaltungsgericht, vor das viele erboste Hausbesitzer zogen, die Baueinstellung aufgehoben hat. In sieben Fällen sind die Baueinstellungen rechtskräftig, die Gebäude müssen also erhalten bleiben. Die übrigen Fälle sind noch offen.

Die Initiative Denkmalschutz hat ein Auge auf Wiens alte Häuser. Ihr Obmann Markus Landerer findet ein Jahr nach der Gesetzesänderung, dass sich damit "vieles grundsätzlich gebessert" habe, allerdings fordert er Nachschärfungen. Viel zu oft würden Eigentümer ihrer Erhaltungspflicht nicht nachkommen und Häuser verfallen lassen. Außerdem kritisiert er, dass von den bedeutenderen Häusern, über die ein Abbruchstopp verhängt wurde, ein Jahr später nur noch wenige erhalten seien.

Das frühere Gasthaus Sperl darf nun offiziell abgerissen werden.
Foto: Zoidl

Abriss erlaubt

Auch in der Karolinengasse 13 im vierten Wiener Gemeindebezirk blicken Anrainer seit dem Vorjahr auf eine Ruine. Einen Steinwurf vom Belvedere entfernt und in bester Lage wurde vor einem Jahr das frühere Gasthaus Sperl innerhalb weniger Tage zur Überraschung vieler Stammgäste verkauft und zugesperrt. Umgehend wurde mit dem Abriss begonnen.

Auch dieser Abbruch wurde gestoppt, das zweigeschoßige Gründerzeithaus als erhaltungswürdig eingestuft. Im Jänner interpretierte der Eigentümer einen Entscheid des Verwaltungsgerichts, in dem es um einen Formfehler ging, eigenwillig und begann erneut mit dem Abbruch.

Die Baupolizei stoppte das Vorgehen, derzeit läuft ein Verwaltungsstrafverfahren. Der Strafrahmen liegt bei 100.000 Euro. Abgerissen darf nun, wie berichtet, trotzdem werden, weil von der als erhaltungswürdig eingestuften Substanz so gut wie nichts mehr übrig ist. Der Bescheid erging vor kurzem. Wann die Abbrucharbeiten fortgesetzt werden, ist offen.

Sanierung und Ausbau

Auch in der Mariahilfer Straße 166-168 in Rudolfsheim-Fünfhaus wurde vor einem Jahr mit den Abbrucharbeiten begonnen, obwohl es im Erdgeschoß noch zwei Mieter der Gewerbeflächen gab. Der Abbruch wurde gestoppt. Der Eigentümer, die Avoris Immobilienentwicklungs Gmbh, hat sich mit der neuen Situation arrangiert. Mit dem Uhrmacher im Erdgeschoß habe man sich auf eine "großzügige Ablösesumme" geeinigt, berichtet Avoris-Sprecher Christian Sageder.

Aktuell sei man dabei, sich auch mit einer ebenfalls noch im Erdgeschoß verbliebenen Gastronomin zu einigen, dann stehe das Haus leer. Es soll saniert und aufgestockt werden. Allerdings dürfte sich dieser Plan weiter verzögern: Ein Anrainer hat gegen die Baubewilligung Beschwerde eingebracht. "Seit Oktober warten wir auf einen Verhandlungstermin", so Sageder.

Das frühere Hotel Thüringer Hof einige Monate vor seinem Abbruch.
Foto: Urban

Beim früheren Hotel Thüringer Hof in der Jörgerstraße 4 in Wien-Währing, dessen Abbruch vor einem Jahr ebenfalls gestoppt wurde, fuhr indes vor kurzem der Abbruchbagger vor, mittlerweile ist das Haus verschwunden. Die Baueinstellung wurde durch das Verwaltungsgericht aufgehoben. Hier gibt es eine Baugenehmigung für eine Wohnhausanlage mit Beherbergungsstätte. Der Eigentümer gibt sich zu den konkreten Plänen aber zugeknöpft.

Das Haus in der Radetzkystraße wird wohl nicht mehr abgerissen.
Foto: Zoidl

Vorsichtiger Optimismus

In der eingangs erwähnten Radetzkystraße dürfte ein Abbruch hingegen vom Tisch sein: Die Baueinstellung ist zwar nach wie vor beim Verwaltungsgericht anhängig, allerdings gibt es einen erstinstanzlichen Gerichtsbeschluss nach dem Mietrechtsgesetz, dass das Gebäude – konkret Fenster, Fensterstöcke und Dach – wiederhergestellt werden muss. Bei der Mietervereinigung, die die Mieter vertritt, rechnet man allerdings mit einem Rekurs des Eigentümers.

Eine Gesetzeslücke in der Wiener Bauordnung wurde mittlerweile geschlossen: Bewohnte Häuser dürfen nicht mehr abgerissen werden. In den fünf Wohnungen, die in der Radetzkystraße aktuell noch bewohnt sind, macht sich nun vorsichtiger Optimismus breit. Der Eigentümer soll eine Wiederherstellung und einen Dachgeschoßausbau anstatt des Abbruchs planen, wird dort erzählt. Eine Baueinreichung gibt es laut Baupolizei aber noch nicht. (Franziska Zoidl, 6.7.2019)