Der Konsum, einer der wichtigsten Wachstumstreiber in Russland, hinkt. Die Neuwagenverkäufe sind seit Jahresbeginn deutlich zurückgegangen.

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Alles wird gut – das Motto des siegreichen Bürgermeisterkandidaten von Istanbul Ekrem IImamogglu hat offenbar auch die russische Regierung verinnerlicht: Im Mai hat sich das Wirtschaftswachstum in Russland auf 0,2 Prozent verlangsamt. Ungeachtet dessen versprechen Wirtschaftsminister Maxim Oreschkin und Finanzminister Anton Siluanow schnelle Besserung.

Wegen der hohen Volatilität und der unterschiedlichen Anzahl von Feiertagen sei es zwecklos, auf die Monatszahlen zu schauen, sagte Siluanow. "Im April hatten wir noch 1,7 Prozent, im ersten Quartal 0,5 Prozent. Jetzt entfalten sich die nationalen Projekte, darum glauben wir, dass das Wachstum im nächsten Monat wieder steigt", fügte er hinzu. Das Wirtschaftsministerium verlautete trotz eines derzeit eher mauen Plus von 0,7 Prozent, es gebe Indizien, dass Russland heuer stärker als die prognostizierten 1,3 Prozent wachsen werde. An eine Rezession glaube er jedenfalls nicht, betonte Oreschkin.

Bescheidenes Wachstum

Den Optimismus der Regierung teilen längst nicht alle Experten. So geht die anerkannte Chefvolkswirtin der Alfabank, Natalja Orlowa, heuer nur von einem bescheidenen Wachstum von 0,8 Prozent aus. Viel zu wenig, um die hochgesteckten Ziele im Kreml zu erreichen. Präsident Wladimir Putin hatte zuletzt ein Wachstum von mehr als drei Prozent jährlich gefordert. Damit soll die Zahl der Armen in Russland halbiert werden und Russland bis 2024 in die top fünf der Volkswirtschaften nach Kaufkraftparität aufsteigen.

Dabei gibt es, abgesehen von den deklarierten nationalen Projekten, die von Gesundheit und Bildung über Straßenbau und Wohnungsbau bis hin zu digitalisierter Wirtschaft und Anhebung der Arbeitsproduktivität reichen und in die die Regierung bis 2024 umgerechnet 350 Milliarden Euro investieren will, wenig Indizien für eine schnelle Wandlung zum Guten.

Kaum Wachstumstreiber

Der Konsum, einer der wichtigsten Wachstumstreiber, hinkt. Die Reallöhne fallen seit 2013. Deutlich wird dies so auf dem Automarkt, wo die Neuwagenverkäufe seit Jahresbeginn um 2,2 Prozent, im Mai sogar um 6,7 Prozent zurückgegangen sind. Und Berichten nach ist die Lage noch deutlich dramatischer: Demnach liegt der wahre Rückgang im Mai bei 18 Prozent, weil viele Autodealer Pkws, die noch auf Lager sind, als verkauft melden.

Auch die Aussichten beim Rohstoffexport sind gedämmt. Der Handelskrieg zwischen den USA und China bedroht die Weltwirtschaft und damit die Ölnachfrage. Die Kohlepreise auf dem europäischen Markt sind auf ein Dreijahrestief gefallen, womit Sibiriens Exporteure schon an der Grenze zur Rentabilität arbeiten. Einige Zechen sollen dichtmachen.

Devisenbringer Getreide

Und auch die Getreideernte – in den vergangenen Jahren ebenfalls ein zuverlässiger Devisenbringer – könnte heuer wegen der Hitze schlechter ausfallen als geplant.

Die wichtigste Frage aber bleibt das Investitionsklima. Und das hat sich unter anderem wegen der Affäre um den Investmentfonds Baring Vostok weiter abgekühlt. Keine guten Voraussetzungen, um den geplanten Sprung nach vorn zu schaffen. (André Ballin, 24.6.2019)