Fernsehserien wie "CSI: Miami" haben die weithin geläufige Vorstellung von der Arbeit der Forensik maßgeblich mitgeprägt. Zur Aufklärung von Verbrechen begeben sich forensische Teams in diesen Szenarien in hochtechnisierte Labors; sie arbeiten schnell und höchst effizient und durchdringen das Spurendickicht der Ermittlungen derart rasch, dass diese in kürzester Zeit erfolgreich zum Abschluss gebracht und die Schuldigen stets eindeutig überführt werden können. Auch wenn solche dramatisierten Darstellungen mit tatsächlichen forensischen Vorgehensweisen wenig zu tun haben, sind sie doch schon sehr lange daran beteiligt, gesellschaftliche Vorstellungen von Forensik zu verbreiten und diese mit der ultimativen Wahrheit und staatlichen Aufklärung in Verbindung bringen.

Neue Bedeutungen für die Forensik

Forscherinnen und Forscher aus unterschiedlichen kulturwissenschaftlichen Disziplinen stellen sich im Gegensatz zu den vereinfachenden Darstellungen aus Film und Fernsehen der Komplexität forensischer Methoden. Aktuelle Forschungen gehen der Frage nach, wie forensische Untersuchungen daran beteiligt sind, "Wahrheit" überhaupt erst herzustellen. Anders als in medialen Darstellungen, in denen die forensische Arbeit als staatlicher Garant von Wahrheit funktioniert, untersuchen Wissenschafterinnen und Wissenschafter in diesem Kontext die Auswirkungen von forensischer Arbeit in wissenschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Bereichen. Von Interesse ist dabei, welche Diskurse, gesellschaftliche Praktiken und Vorstellungen forensische Analysen nach sich ziehen und wie sie dadurch den Umgang mit dem Tod, mit menschlichen und nichtmenschlichen Resten auf unterschiedliche Weise prägen.

Eine solche kritische Auseinandersetzung mit forensischen Praktiken gewinnt in Kontexten massiver politischer Gewalt an besonderer Brisanz. Der Begriff "Forensik" wird dabei mit neuen Bedeutungen versehen: Diese wird nicht länger als neutrale und objektive, staatlich verordnete Praxis begriffen. Vielmehr nehmen Forscherinnen und Forscher den Begriff zum Anlass, um sein Potenzial zur kritischen Befragung von Herrschaftspraktiken auszuloten und in Kontexten staatlicher Gewalt als nichtstaatliche Praxis zum Einsatz zu bringen.

So schnell arbeitet die Forensik dann doch nicht, wie es zum Beispiel in Serien wie "CSI: Miami" gezeigt wird.
Foto: CBS

Aufarbeitung der Vergangenheit

Eine zentrale Rolle im Rahmen dieser Neubewertung forensischer Praktiken hatte die Arbeit der argentinischen NGO Equipo Argentino de Antropología Forense (EAAF), die diese nach der Militärdiktatur in Argentinien in den 1980er-Jahren leistete. Die forensischen Untersuchungen dieser nichtstaatlichen Organisation geschahen auf Initiative von Menschenrechtsorganisationen und Angehörigen der rund 30.000 "desaparecidos", also von der Militärdiktatur aus politischen Gründen zum Verschwinden gebrachten Personen. Durch die Pionierarbeit des EAAF konnten sterbliche Überreste aus Massengräbern geborgen und identifiziert werden. Die forensische Arbeit leistete einen Beitrag zu den Forderungen nach Wahrheitssuche, Gerechtigkeit und Erinnerung ("justicia, verdad y memoria"), die von Angehörigen und deren Organisationen wie den "Abuelas de la Plaza de Mayo" ("Großmütter der Plaza de Mayo") gestellt wurden.

Die Aktualität einer solchen nichtstaatlichen Forensik zeigt sich auch in der Gegenwart in unterschiedlichen Kontexten. In ihren Analysen und filmischen Arbeiten verdeutlicht etwa die Lateinamerikanistin Anne Huffschmid die Bedeutung kritischer forensischer Praktiken in Mexiko. Da Staat und Verbrechen sich dort häufig in Komplizenschaft miteinander befinden, staatliche Maßnahmen fehlen oder zu spät in die Wege geleitet werden, haben Angehörige von zum Verschwinden gebrachten Personen in Colinas de Santa Fé, einem Massengrab, das sich zwanzig Autominuten von Veracruz entfernt befindet, die forensische Suche selbst in die Hand genommen; sie leisten die Grundlage für spätere professionelle forensische Identifizierungsversuche. Um der üblichen medialen Sensationslust zu entgehen, haben die Angehörigen Nahaufnahmen der Exhumierungsarbeiten untersagt. Huffschmid begreift Forensik ausgehend davon als Praxis, die eigene gesellschaftliche Erzählungen und Bilder hervorzubringen vermag – und somit auch als Möglichkeit, der medialen Darstellung unvorstellbarer Gewalt andere Praktiken und Bilder entgegenzusetzen.

Engagierte Strategie

Doch auch in Europa zeigt sich aktuell die Bedeutung forensischer Praktiken. Ulrike Capdepón verdeutlicht etwa anhand der Kontroverse um die Umbettung des spanischen Diktators Francisco Franco die "Politik toter Körper". Francos sterbliche Reste liegen im "Tal der Gefallenen", einem Ort, der sich zu einer Pilgerstätte für Anhänger des Diktators entwickelt hat. Doch auch politische Opponentinnen und Opponenten des Spanischen Bürgerkriegs sind, gegen den Willen oder ohne das Wissen ihrer Angehörigen, an diesem Ort begraben. Die forensischen Exhumierungsarbeiten haben, wie Capdepón zeigt, gesellschaftliche Konflikte ebenso offengelegt wie symbolische Veränderungen.

Zudem sind forensische Praktiken in der Gegenwart auf supranationaler Ebene von besonderer Bedeutung, wie Zuzanna Dziuban in ihrer Analyse der europäischen Migrationspolitiken und deren Folgen zeigt. Die ausbleibenden forensischen Untersuchungen der Körper der im dem Mittelmeer Verstorbenen, die an Europas Stränden angespült werden, machen die Europäische Union, wie Dziuban argumentiert, zu einer Europäischen Gemeinschaft der Toten. Diese werden durch staatliche Bürokratien unsichtbar und damit auch der Trauer unwürdig gemacht. Forensische Exhumierungen können, wie ich mit Kirsten Mahlke und Zuzanna Dziuban argumentiert habe, nicht nur als Methode der Kritik dienen, sondern auch als engagierte Strategie, um sich gegen herrschende gesellschaftliche Verhältnisse, Diskurse und Praktiken zu positionieren. (Gudrun Rath, 26.6.2019)