Kraftwerk gastierten in der Wiener Arena. Sie führten Ausschnitte ihres Katalogs in 3D auf.

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"Boing Boom Tschak." – Kraftwerk sind ein Paradebeispiel der Ökonomie und der Nachhaltigkeit. Ihr Werk ist mit Ausnahme einiger akustischer Nachgeburten seit 1986 abgeschlossen. Seit damals pflegt die Band aus Düsseldorf ihr Erbe, verwaltetet es, passt es neuen technischen Gegebenheiten an. Dieses Tun besitzt archivarischen und musealen Charakter. Ein Konzert des vierköpfigen Kollektivs besitzt deshalb durchaus Züge einer neuen Hängung einer Sammlung im Museum: Klassiker wird an Klassiker gereiht.

Bei dem Auftritt am Montag in der Wiener Arena war es die aktuelle 3D-Darbietung des Kraftwerk-Katalogs. Katalog heißt folgerichtig die letzte Neubewertung des Kraftwerk-Werks aus dem Jahr 2016. Damals sind die Alben Autobahn, Radio-Aktivität, Trans Europa Express, Die Mensch Maschine, Computerwelt, Techno Pop und The Mix sowie das ursprünglich nur als Maxi veröffentlichte Tour de France als Boxset neu aufgelegt worden. Nennen wir es das Alte Testament der elektronischen Popmusik.

Einsteigen ins Spacelab

3D bedeutet für das Publikum eine greifbar anmutende Variation der Kraftwerk-Darbietung unter Zuhilfenahme einer 3D-Brille. Da landet ein Ufo fast greifbar vor der Arena, da wirken die Nummern im gleichnamigen Lied, als könnte man sie einstecken, das Spacelab lädt zum Einsteigen ein.

Kraften und werken.
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Auf der Brücke dieses futuristischen Unterfangens steht Ralf Hütter als letztes Gründungsmitglied der seit 1970 bestehenden Gruppe. An den anderen drei Manualen neben ihm kraftwerken Fritz Hilpert, Henning Schmitz sowie Falk Grieffenhagen – alle angetan in verkabelten Uniformen.

Wissenschaftlicher Gestus

Die Behauptung It's More Fun To Compute stützt das traditionell wenig, Kraftwerk ist eine konzentriert erscheinende Gruppe, der wissenschaftliche Gestus unterstreicht die Pionierarbeit, die Hütter, Florian Schneider, Karl Bartos und Wolfgang Flür mit den als klassisch geltenden Alben ab 1974 geleistet haben.

Damals erschien das wegweisende Album Autobahn, mit dem Kraftwerk den Wandel zur Synthesizer-Band vollzogen und mit dem Titelstück einen kleinen Welthit landeten. Noch heute düst ein anonymer VW Käfer durch die immergrüne Landschaft, während Hütter Hupgeräusche und optimistischen Fortschrittsglauben aus der Datenbank abruft. "Fahrbahn ist ein graues Band. Weiße Streifen, grüner Rand", sprechsingt er, und mit den Bildern in 3D ist das besonders hübsch.

Autobahn, einer von vielen Klassikern im Kraftwerk-Katalog.
KeyloMPhi

Diese Mischung aus Romantik, Nostalgie und Fortschritt ist das Besondere an Kraftwerk. Zu Neonlicht schweben hübsche alte Neonschriftzüge über die Bühne, Das Model wird mit alten Schwarz-Weiß-Bildern illustriert. Nichts an dem Abend ist neu, alles ist schön anzusehen und wirkmächtig.

Kraftwerk sind die ultimative Institution der Popmusik. Sie funktionieren in ihrem eigenen System, spielen in ihrer eigenen Liga, haben ihre eigenen Ästhetik erschaffen, Techno, Pop und Technopop vorweggenommen und für immer deren Standards definiert. Das ist bekannte Kunstgeschichte, aber vor Ort dann doch jedes Mal aufs Neue unglaublich schön zu erleben. (Karl Fluch, 25.6.2019)