Die Hethiter beherrschten zwischen 1600 und 1200 vor unserer Zeitrechnung weite Teile Kleinasiens und Syriens. Im Unterschied zu den meisten anderen regionalen Völkern dieser Ära sprachen sie eine indogermanische Sprache. Obwohl die Hethiter im Geschichtsbewusstsein im Vergleich zu Ägypten, Babylonien und Assyrien meist nur als Randbemerkung aufscheinen, spielten sie damals eine durchaus prominente Rolle. Die damaligen Großreiche betrachteten den hethitischen Großkönig meist weitgehend als gleichrangigen Partner. In der Schlacht bei Kadesch 1274 vor unserer Zeitrechnung waren die Hethiter sogar in der Lage, den Ägyptern unter Pharao Ramses II. die Stirn zu bieten.

Eindrucksvolles Felsheiligtum

Die Hauptstadt der Hethiter war Ḫattuša im heutigen anatolischen Hochland, rund 170 Kilometer östlich von Ankara. Eines ihrer bedeutendsten Heiligtümer, heute als Yazılıkaya bezeichnet (türkisch für "beschriebener Fels"), lag etwa zwei Kilometer nordöstlich ihrer Haupstadt. Die beeindruckende archäologische Fundstätte inmitten einer Gruppe von Kalksteinfelsen wurde 1986 zum Unesco-Weltkulturerbe erklärt. Lange Zeit war unklar, welche Rolle Yazılıkaya über die herkömmlichen religiösen Kulthandlungen hinaus gespielt haben könnte.

Die sogenannte Kammer A des hethitischen Yazılıkaya-Heiligtums.
Foto: Klaus-Peter Simon

Nun aber haben Schweizer Wissenschafter eines der Rätsel um das über 3.000 Jahre alte Yazılıkaya möglicherweise gelöst: Wie das Team um den Geoarchäologen Eberhard Zangger sowie die Archäologin und Astronomin Rita Gautschy von der Universität Basel nun berichtet, könnte das hethitische Felsheiligtum als eine Art Kalender gedient haben. Die Anlage habe demnach sehr wahrscheinlich eine astronomische Rolle gespielt.

Antiker Mondphasenkalender

Hethiter-Priester beobachteten laut der im "Journal of Skyscape Archaeology" veröffentlichten Studie dort um 1230 vor unserer Zeitrechnung den nächtlichen Himmel und führten einen sogenannten Lunisolar-Kalender. Dieser richtet sich zur Datumsberechnung vor allem nach den Mondphasen.

Video: Der lunare Kalender der Hethiter im Yazılıkaya-Heiligtum.
Luwian Studies

Die Wissenschafter erkannten, dass sich die in Fels gehauenen mehr als 90 Relief-Figuren in einem der beiden natürlichen Innenhöfe von Yazilikaya in Gruppen einteilen lassen: Sie stellen offenbar die lunare Einteilung des Jahres dar, die jeweils maximal 30 Tage umfassen. Um Sonnenjahre und Mondmonate in Einklang zu bringen, sind allerdings 19 Jahre notwendig. Außerdem sei eines der Tempelgebäude der Sommersonnenwende und ein anderes der Wintersonnenwende gewidmet, berichten die Schweizer Wissenschafter.

Landwirtschaft, Festtage und Mondfinsternisse

Ein zuverlässiger Kalender war nach Ansicht der Wissenschafter für die Hethiter äußerst bedeutsam, denn er bestimmte unter anderem den Zeitpunkt für Aussaat und Ernte, aber auch die bis zu 165 religiösen Festtage im Jahr. Außerdem stützte sich die königliche Familie auf astrologische Vorhersagen und musste daher etwa wissen, wann eine Mondfinsternis – als Zeichen der Gefahr für den König – zu erwarten war. (red, 25.6.2019)