Die Reflexion der Verhältnisse galt diesen Menschen viel. Wie sonst wäre es zu verstehen gewesen, dass sie bereits zu Mittag in einem der Weinkeller Einkehr hielten.

Foto: Robert Newald

In den hitzeschwülen Sommern der Kreisky-Ära wusste man noch, was man an Österreich hat. Die besitzenden Klassen verschwanden in den Zirbenstuben des Salzkammerguts. Unsereiner begnügte sich mit einem formschönen Bungalow im Umland von Wien. Wir Babyboomer tollten über die trockenen Lößböden des Weinviertels. Während unserer saisonalen Freundschaften verständigten wir Buben uns grunzend und nahmen einander, mehr aus Verlegenheit, in den Schwitzkasten.

In diesen Jahren lebten hier noch keine wattebärtigen Orgien-Mysterien-Theatraliker. In unserem Nest gab es gar Menschen, die im Ruch standen, waschechte Kommunisten ("Kummerer") zu sein. Sie trugen Nickelbrillen, Feinripp und ähnelten alle dem Bolschewiken Karl Radek.

Rendezvous Bacchus und Morpheus

Die Reflexion der Verhältnisse galt diesen Menschen viel. Wie sonst wäre es zu verstehen gewesen, dass sie bereits zu Mittag in einem der Weinkeller Einkehr hielten, um die Gärkunst der "Brünnerstraßler" einer ebenso eingehenden wie unbestechlichen Prüfung zu unterziehen? Glücklich gestärkt bestiegen ihrer Mutigste das Moped und brausten schon gegen 14 Uhr nach Hause, um nach ihrem Rendezvous mit Gott Bacchus ein ebensolches mit Morpheus anzuberaumen.

Der Staub erhob sich mürrisch von der Schotterstraße. Herr Knapp, der sanft bezechte Postbedienstete, gelobte vor dem Mittagsschlaf feierlich, uns Kindern das Gesäß zu versohlen, wenn wir nicht sofort still seien.

Seine Work-Life-Balance brachte es mit sich, dass er lange vor Erreichen des Pensionsalters mitsamt seinem Moped an einem Kirschenbaum zerschellte. Niemand, auch nicht die kommunistische Partei, machte ein Aufhebens von Herrn Knapps Ende. Seine Söhne aber nahmen mich fortan nie mehr in den Schwitzkasten. Sie bauten Wein an und halfen mit, ihn aufzubrauchen, bevor er verdarb. (Ronald Pohl, 26.6.2019)