Marcel Reich-Ranicki bezeichnete ihn noch "als literarische Modenschau": der Bachmannpreis, ein Spagat zwischen Kunst und Ökonomie.

ORF / Johannes Puch

Es sind solche Geschichten, die ein Bewerb wie der Bachmannpreis zur Legendenbildung braucht: Ein 22-jähriger Barkeeper, literarisch völlig unbekannt, quatscht am Tresen einen Verleger an, schickt ihm einen der Texte aus seiner digitalen Schublade – und liest kurz darauf als einer von vierzehn Autorinnen und Autoren um den mit 25.000 Euro dotierten Bachmannpreis.

Daniel Heitzler, geboren in Rheinland-Pfalz, wohnhaft in Berlin, verabscheut die sozialen Medien, hatte jedoch seine bislang einzige Veröffentlichung auf Twitter. Er habe gerade etwas bei einem Lieferservice bestellt, vermeldete er dort knapp. Er tat dies nicht aus künstlerischen Gründen, sondern aus finanziellen: Für diese Form der Kunden-PR gab es Rabatt. Irgendwie passt das ganz gut zum Bachmannpreis: Kann man Kunst und Ökonomie überhaupt voneinander trennen? Oder brauchen die beiden einander?

Man könnte jetzt fragen, ob denn so was überhaupt geht: ein völlig Unbekannter, quasi ein Laie, der bei einem so renommierten, öffentlichkeitswirksamen Wettbewerb wie dem Klagenfurter lesen darf. Dabei ist es doch gerade das, worum es bei einer Veranstaltung wie den Tagen der deutschsprachigen Literatur gehen sollte: nicht um möglichst eifriges Mitspielen im Betrieb, Preise, Stipendien und Publicity – sondern um Literatur. Einen Austausch darüber, was gute Literatur kann, soll und darf, warum es sie braucht in einer Gesellschaft.

Starmania der Literatur

So wird das Wettlesen in Klagenfurt nicht immer wahrgenommen. Schon länger leidet es darunter, dass es, sogar von den eigenen Teilnehmern, als "Starmania der Literatur" bezeichnet wird, als Showveranstaltung und Marketingmaschine von vielen Autoren und Autorinnen abgelehnt wird. (Auch wenn die meisten natürlich trotzdem gerne dabei wären).

Kritisiert wird der Wettbewerbscharakter, die öffentliche und im Fernsehen übertragene Kritik der Jury, die auch schon als "Tribunal" bezeichnet wurde (© Daniel Kehlmann). Schon nach der ersten Austragung 1977 wurde die Veranstaltung von (Mitbegründer!) Marcel Reich-Ranicki als "eine Art Börse" und "literarische Modenschau" verunglimpft.

Die Einladung von Daniel Heitzler könnte dem Preis und seiner Wahrnehmung guttun. (Abgesehen davon darf man nicht vergessen, dass die siebenköpfige Jury die Texte aufgrund ihrer Qualität aussucht. Heitzler wurde von dem Juryvorsitzenden Hubert Winkels eingeladen.) Es beeinflusst sicher auch den Charakter der diesjährigen Bachmann-Tage, dass heuer keine wirklich prominenten Namen dabei sind – einmal abgesehen von dem Schweizer Tom Kummer, der schon lange vor Claas Relotius mit gefälschten Interviews für einen Medienskandal und Debatten um die Grenze zwischen Fiktion und Wahrheit sorgte.

Eine Neuheit ist nicht nur, dass (nach nur einer österreichischen Teilnehmerin im letzten Jahr) heuer erstmals Österreich mit sechs Teilnehmerinnen und Teilnehmern in der Mehrzahl ist: Ines Birkhan, Birgit Birnbacher, Leander Fischer, Julia Jost, Lukas Meschik und Sarah Wipauer. Andrea Gerster, Tom Kummer und Silvia Tschui kommen aus der Schweiz, aus Deutschland lesen neben Heitzler Martin Beyer, Yannic Han Biao Federer, Ronya Othmann und Katharina Schultens. Schön ist auch, dass die Mehrheit der Eingeladenen bei der 43. Ausgabe weiblich ist: Acht Autorinnen stehen sechs Autoren gegenüber.

Clemens Setz' Eröffnungsrede

Mittwochabend wird ausgelost, in welcher Reihenfolge sie sich der Jury (und live dem Fernsehpublikum auf 3sat) stellen dürfen. Die Rede zur Literatur kommt in diesem Jahr vom Grazer Clemens J. Setz, sie trägt den Titel Kayfabe und Literatur. Kayfabe ist ein Begriff aus dem geschauspielerten Wrestling, der die Übereinkunft bezeichnet, sämtliche Ereignisse vor der Kamera, auch wenn sie in Wahrheit Teil einer Storyline sind, als echt und nicht gespielt darzustellen. Man darf gespannt sein, welche Querverbindungen er zum Bachmannpreis herstellen wird. (Andrea Heinz, 26.6.2019)