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Die kalte Progression frisst Teile der Einkommenserhöhungen auf.

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Einer Sache waren Österreichs Regierungen treu: In guten wie in schlechten Zeiten wurde das eingenommene Steuergeld wieder ausgegeben – ein Budgetüberschuss, wie im Vorjahr, hat Seltenheitswert wie eine Jahrhundertflut.

Dass ein gut ausgebauter Wohlfahrtsstaat nicht billig kommt, dürfe keine Ausrede für die Politik sein, wichtige Reformen zu verschleppen, argumentiert der Thinktank Agenda Austria.

In der ersten Ausgabe einer neuen Studienreihe, die in der Gestaltung an ein sozialistisches Manifest erinnert, widmen sich die Wiener Ökonomen dem "großen Brocken" Staatsfinanzen samt Vorschlägen für die nächste Regierung. "Österreich ist ein unangefochtenes Hochsteuerland", sagt Lukas Sustala, Vizedirektor des Instituts. Vor allem der Faktor Arbeit ist hierzulande im internationalen Vergleich stark belastet.

Ambitioniertere Steuersenkung

Zusammen mit Frankreich teilt sich Österreich den dritten Stockerlplatz, was Steuern und Abgaben auf Arbeitseinkommen betrifft, wie die jüngste Untersuchung der Industriestaatenorganisation OECD zeigt.

Auch im Vorjahr stieg der Anteil in Österreich entgegen dem internationalen Trend. Verglichen werden hier kinderlose Singles. Ihre Arbeitgeber müssen hierzulande im Schnitt über 47 Prozent der Lohnkosten an den Staat abliefern – natürlich erwachsen dem Arbeitnehmer dadurch auch Ansprüche.

Die angedachte, aber nur in geringen Teilen umgesetzte Steuerreform der türkis-blauen Regierung wäre ein Schritt in die richtige Richtung gewesen, sagt Sustala, insgesamt wäre aber mehr Ambition angebracht. Die Agenda Austria schlägt eine Entlastung der Arbeitseinkommen von rund neun Milliarden Euro vor. Zum Vergleich: Die Regierung sprach von einer Entlastung für Arbeitnehmer in Höhe von fünf Milliarden Euro.

Für den Einzelnen würde der Vorschlag des Thinktanks bei einem Bruttoeinkommen von monatlich 2.000 Euro auf rund 1.500 Euro mehr im Jahr hinauslaufen.

Kalte Progression abschaffen

Damit sich Arbeitnehmer dauerhaft über das Lohnplus freuen dürfen, solle endlich die kalte Progression abgeschafft werden, fordert die Agenda Austria. Durch diese "Inflationssteuer" müssen Arbeitnehmer jedes Jahr mehr Einkommensteuer an den Finanzminister abliefern, ohne dass sich etwas an den Steuertarifen ändert.

Dadurch würde der Staat zwischen 2017 und 2022 über acht Milliarden Euro mehr einnehmen, schätzten die Ökonomen. Für den Arbeitnehmer, der 2.000 Euro brutto verdient, ergäbe das Mehrkosten von rund 1.800 Euro.

Es ist diese schleichende Steuererhöhung, die es Politikern ermöglicht, reichlich Geld auszugeben, ohne mit unliebsamen Steuern oder Schulden vor die Öffentlichkeit treten zu müssen. Das dürfte auch erklären, warum trotz Befürwortern einer Abschaffung der kalten Progression über fast alle Parteigrenzen hinweg – sowie der Gewerkschaft – sich noch keine Regierung dazu durchringen konnte. Die türkis-blaue Koalition hatte das Vorhaben für 2023 im Kalender eingezeichnet. Jetzt ist wieder alles offen.

Freies Spiel der Kräfte

Gerade die breite Allianz der formal Willigen könnte nun im Parlament dazu genutzt werden, um der schleichenden Steuererhöhung und damit dem Finanzminister diesen Geldhahn zuzudrehen, argumentiert Sustala. Mit ÖVP, FPÖ und Neos gäbe es sogar eine Verfassungsmehrheit jener Parteien, die das Vorhaben in ihre Programme geschrieben haben. Im letzten Finanzausschuss vor der Sommerpause am Dienstag hat das Parlament die Chance jedoch nicht ergriffen.

Österreich wird laut Fiskalrat aller Voraussicht nach das mit der EU vereinbarte Ausgabenziel 2019 wieder überschreiten. Konsequenzen daraus seien nicht zu erwarten, bedauert Sustala. Nach Vorbild anderer Länder, wie etwa Schweden, sollten sich die heimischen Politiker eine gesetzliche Ausgabenbremse auferlegen.

Kritiker verweisen auf Deutschland, wo wichtige Ausgaben für Infrastruktur fehlen, obwohl der Staat Überschüsse anhäuft. Doch mit einer Ausgabenregel müssten lediglich Prioritäten in den Ministerien gesetzt werden, argumentiert Sustala.

Eine Ausgabenbremse muss keine Zwangsjacke sein, zeigt der Blick ins Ausland: Für Notfälle gäbe es Mittel. Auch die Möglichkeit, während eines wirtschaftlichen Abschwungs, die Konjunktur zu stützen, wäre denkbar – solange man in guten Zeiten einen Polster anspart. Damit würde Österreich aber mit einer langen Tradition brechen. (Leopold Stefan, 26.6.2019)