Mehr als 250.000 Menschen protestierten am Wochenende in Prag gegen Regierungschef Andrej Babiš.

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Das ikonische Foto war jetzt wieder in allen Medien: Frühsommer 1989, Außenminister Alois Mock durchschneidet gemeinsam mit dem ungarischen Außenminister Gyula Horn den Stacheldrahtzaun an der Grenze im Burgenland. Es war, wie so viele historische Fotos, gestellt. Ungarn hatte längst mit dem Abbau des Zauns begonnen. Aber es hatte eine innere Wahrheit. Es war das Symbol für den Zusammenbruch des riesigen osteuropäischen kommunistischen Reiches.

Und was ist daraus geworden? Nach Jahren des wachsenden Wohlstandes und unvergleichlich größerer Freiheit scheinen sich die Völker Osteuropas großteils entschlossen zu haben, zu einer üblen Mischung aus Nationalismus, autoritären Herrschaftsformen und Großkorruption zurückzukehren. Die Russen leben seit fast 20 Jahren unter Putin und seinen Kriegen (Tschetschenien, Ostukraine), die Ungarn haben sich von Orbán um fast alle Freiheit bringen lassen, die Polen wählten ein verstockt nationalkatholisches Regime, die Tschechen einen Nationalpopulisten und die Ostdeutschen die rechtsextreme AfD.

Aber das ist nicht das Ende der Geschichte, genauso wenig wie es "Das Ende der Geschichte" (Buchtitel von Francis Fukuyama) war, als vor 30 Jahren die Demokratie über die totalitäre Diktatur siegte.

Was das bedeutete, ist heute nicht mehr so präsent. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in ganz Osteuropa ein Imperium errichtet, das Perfektion in der Unterdrückung und geradezu lachhafte Dysfunktionalität in der Versorgung der Bevölkerung in sich vereinte.

Unrechtsgebilde

Das sowjetische Reich von Wladiwostok bis an die deutsche "Zonengrenze" war ein gigantisches Unrechtsgebilde, in dem unter Stalin Millionen in den Lagern verkamen und, nachdem der ärgste Terror abgeklungen war, immer noch in die Psychiatrie kam, wer von Demokratie redete. Gleichzeitig konnten punktuelle Errungenschaften in der Weltraumtechnik und eine gewaltige Militärmaschinerie nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Leben der Menschen armselig war und im Alltag so gut wie nichts funktionierte.

Es war zugleich fürchterlich und grotesk. Die Sowjetunion war mit den Worten des deutschen Kanzlers Helmut Schmidt "Obervolta mit Atomraketen" (Obervolta = ein bitterarmer afrikanischer Staat). Und das System konnte sich nicht halten, sobald einmal ein Mann an der Spitze – Michail Gorbatschow – die Tür einen Spalt aufmachte.

Die materielle Lage der einstigen Untertanen des Sowjetreiches hat sich eindeutig gebessert. Warum wenden sie sich dann autoritären Typen zu, die eine illiberale Demokratie errichten?

Doch das Pendel schlägt wieder in die andere Richtung. Gegen die korrupte, nationalpopulistische Herrschaft in Tschechien demonstrieren Hunderttausende. In der Slowakei wird eine liberale Reformerin gegen die alte Clique zur Präsidentin gewählt. In Polen, in Ungarn, sogar in Russland gibt es Widerstand gegen die autoritären Tendenzen.

Noch sind die ehemaligen KP-Diktaturen Osteuropas Demokratien, wenn auch beschädigte und illiberale. Ein demokratischer Wechsel ist – wohl mit der Ausnahme von Russland – möglich. Der monumentale Wandel, der vor 30 Jahren alle überraschte, wirkt noch weiter.(Hans Rauscher, 25.6.2019)