Gehst du nach rechts, wirst du dein Pferd verlieren, gehst du geradeaus, wirst du deinen Kopf verlieren, gehst du nach links, wirst du sowohl das Pferd als auch den Kopf verlieren. Mit diesen Worten warnt eine Inschrift am Stein vor dem Scheideweg den legendären Recken Ilja Muromez. Vor einer ähnlichen Entscheidung stand auch die Parlamentarische Versammlung des Europarats (Pace) Anfang dieser Woche, als sie über die Einschränkung der eigenen Rechte zur Verhängung von Sanktionen gegen Mitgliedsstaaten abstimmte.

Am Ende stimmten die Parlamentarier für den Ausgleich mit Russland. Moskau bekommt seine Stimmrechte zurück und wird nun wieder in vollem Umfang seine Tätigkeit im Europarat aufnehmen. Die Reaktion aus Moskau zeigt, wie dieser Schritt dort aufgenommen wurde: nicht als Geste des Entgegenkommens, sondern als Sieg der eigenen harten Linie. Aus der politischen Elite formulierte der einflussreiche Außenpolitiker Alexej Puschkow diese Ansicht am prägnantesten: Die Pace sei unter dem Druck der Regierungen der Mitgliedsländer und in Aussicht auf frische Finanzspritzen aus Moskau eingeknickt, meinte der russische Senator.

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow formulierte zurückhaltender, die Rückkehr Russlands sei kein Sieg der Moskauer Diplomatie, sondern einer des gesunden Menschenverstands. Zugleich fühlte er sich allerdings bemüßigt zu betonen, dass Russland in der Pace sicherlich nicht die Zugehörigkeit der Halbinsel Krim diskutieren werde. Diese Frage nämlich sei bereits entschieden, so Peskow. Kurz gesagt: Russland sieht sich in seiner Linie bestätigt. Gestärkt fühlen sich in Moskau nun diejenigen, die Europa immer schon als verweichlicht und feige bezeichnet haben, die der Meinung waren, dass die Europäer um der eigenen Bequemlichkeit willen den Bruch des Völkerrechts am Ende durchgehen lassen und klein beigeben würden.

Einhaltung von Menschenrechten

Es ist sicher nicht die Reaktion, die sich die Parlamentarier in Straßburg von ihrem Schritt erhofft hatten. Doch müssen sie sich vorwerfen lassen, sich einst selbst in die Lage gebracht zu haben, als sie Russland das Stimmrecht entzogen, ohne die Konsequenzen bis ins Letzte zu bedenken.

Jetzt hätte die Alternative darin bestanden, hart zu bleiben. Doch dies wäre mindestens genauso schlecht gewesen. Der – dann endgültige – Austritt Russlands hätte vielleicht die Eitelkeiten in Kiew gestillt, wo man sich nun verraten fühlt. Real verbessert hätte sich dadurch aber rein gar nichts. Im Gegenteil: Die Verpflichtungen Russlands im Europarat betreffen nicht in erster Linie die Mitgliedsbeiträge, sondern die Einhaltung von Menschenrechten. Ein Austritt hätte die Lage der Zivilgesellschaft in Russland – und auch auf der Krim – nur erschwert.

Und auch im Konflikt um den Donbass hätte sich dadurch nichts bewegt. Der ist nur politisch zu lösen, das heißt im Dialog mit Russland. Der Europarat ist eine Institution, die in erster Linie dem Dialog verpflichtet ist. Ohne Moskaus Beteiligung wäre nur eine weitere Plattform für Verhandlungen und Gespräche abhandengekommen.

Mögen die Hardliner in Moskau die Entscheidung der Parlamentarischen Versammlung als Zeichen von Schwäche interpretieren: Am Ende ist jede Verhandlungsinstanz wichtig, um in der Region Frieden zu schaffen. (André Ballin, 25.6.2019)