Stefan Effenberg wurde vom Star zum Sorgenkind.

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Die Luft flimmerte, das Thermometer zeigte 38 Grad im Schatten, auf dem Rasen der Cotton Bowl im texanischen Dallas waren es locker 50 Grad Celsius in der Sonne. Die Voraussetzungen für ein Fußballfest am 27. Juni 1994 während der WM 1994 in den USA waren also alles andere als günstig, als um 16 Uhr Ortszeit Vizeeuropameister Deutschland im letzten Vorrundenspiel auf Südkorea traf.

Der damalige deutsche Bundestrainer Berti Vogts hatte zuvor schon angesichts der Hitze gewitzelt, "meine Spieler sollen schneller laufen, dann ist der Wind frischer". Doch Deutschland spielte in Halbzeit eins wie aufgedreht, führte nach 45 Minuten mit 3:0. Doch die glühende Hitze in Dallas zeigte in der zweiten Hälfte ihre Wirkung.

Von der Rolle und vom Platz

Die DFB-Auswahl wirkte wie ausgewechselt, fand nicht mehr ihren Spielrhythmus und wurde von Minute zu Minute schwächer. Die wuseligen Südkoreaner übernahmen das Kommando und verkürzten durch Hwang Sun-hong (52.) und Hong Myung-bo (63.) auf 2:3. Das Spiel drohte gänzlich zu kippen. Die Asiaten waren am Drücker, dem Vogts-Team ging immer mehr die Puste aus. Mit Mühe und Not rettete sich Deutschland zum 3:2-Sieg gegen den Außenseiter.

Vor allem Mittelfeldspieler Stefan Effenberg avancierte immer mehr zum Schwachpunkt, wirkte völlig von der Rolle. In der 75. Minute wurde Effe ausgewechselt, für ihn kam Thomas Helmer. Die aufgebrachten deutschen Fans in der Cotton Bowl hatten den damaligen Italien-Legionär von der AC Florenz zum Sündenbock auserkoren. "Effenberg raus" schallte es ihm aus dem deutschen Fanblock entgegen. Frustriert von der eigenen Leistung, aber auch den klimatischen Umständen und dem Leistungsabfall ließ sich Effenberg zur legendären Stinkefinger-Geste hinreißen.

Schämen

Keine TV-Kamera und kein Fotograf hielten die Szene im Bild fest, aber schon auf dem Rückflug von Dallas zum Stammquartier Oak Brook vor den Toren Chicagos war im deutschen Flieger der Ausraster des Blondschopfes das beherrschende Thema. Nach der Ankunft folgte eine Krisensitzung von Vogts mit DFB-Präsident Egidius Braun.

"Ich schäme mich in tiefster Seele", bekannte Braun und warf in Absprache mit Vogts den eigenwilligen Starspieler aus dem WM-Kader. Am Donnerstag jährt sich die Suspendierung zum 25. Mal. Seit dem Rauswurf von Torwart Uli Stein, der 1986 in Mexiko Teamchef Franz Beckenbauer einen "Suppenkasper" genannt hatte, ein Novum in der Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes (DFB).

Effenberg und seine Familie blieben allerdings in den USA und offenbarten in der "Sport Bild" die Gründe für die Suspendierung aus einer Sicht. Einige Jahre später sagte Effenberg im "Spiegel"-Interview: "Damals, als ich diese dämliche Aktion mit dem Stinkefinger gebracht habe, da hätte ich mir Rückendeckung vom DFB gewünscht." Stattdessen bekam er die ganze Härte zu spüren, wobei Vogts immer wieder hervorhob, dass es schon andere Anlässe vonseiten Effenbergs gegeben habe, die nicht sanktioniert worden seien. Das Maß war voll, so Vogts: "Solange ich Bundestrainer bin, wird Stefan Effenberg nicht mehr in der Nationalmannschaft spielen."

Erwartungen

Der Spieler selbst sagte dagegen: "Da hätte man auch sagen können: Junge, das war ein großer Fehler, aber den bügeln wir jetzt gemeinsam aus. Diese Hilfe hätte ich schon erwarten können. Stattdessen bin ich bloßgestellt worden." Er habe sofort gewusst, dass er rausfliegen würde: "Ich habe noch am selben Abend meine Sachen gepackt, meine Frau angerufen und gesagt: Die Nationalelf ist ab morgen für mich erledigt."

Interessanterweise holte Vogts Effenberg vier Jahre später nach der Viertelfinalpleite bei der WM in Frankreich gegen Kroatien in den Nach-WM-Länderspielen gegen Malta (2:1) und Rumänien (1:1) wieder zurück, Effenberg bestritt seine Länderspiele Nummer 34 und 35. Doch danach zog der damals 30-Jährige selbst den Schlussstrich – wie auch Vogts im Übrigen.

Schlusswort von Effe über seinen erhobenen Mittelfinger in Dallas: "Vielleicht bin ich nur im falschen Land geboren. Ein amerikanischer Journalist hat mir mal gesagt: 'Junge, wenn du das bei uns gemacht hättest, wärst du jetzt ein Superstar.'" (sid, red, 26.6.2019)