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Der Beruf des Hausarztes soll wieder attraktiver gemacht werden.

Foto: Joerg Koch/dapd

Der bereits bestehende Ärztemangel wird sich aufgrund der bevorstehenden Pensionierungswelle bei den "Babyboomern" in den kommenden Jahren dramatisch zuspitzen. Davor warnten am Mittwoch Gesundheitsexperten bei der Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Public Health (ÖGPH) in Wien. Um einen Kollaps der Versorgung zu verhindern, müsste umgehend ein Bündel von Maßnahmen umgesetzt werden.

Schon heute sind laut Angaben der Ärztekammer 68 Kassenstellen für Allgemeinmedizin unbesetzt. In den kommenden zehn Jahren werden rund 60 Prozent aller allgemeinmedizinischen Hausärzte das Pensionsalter erreichen. "Alleine um den Status quo zu halten, müssen in Österreich zwischen 2020 und 2030 jährlich etwa 150 bis 200 Hausarztstellen nachbesetzt werden", rechnet Martin Sprenger von der Public Health School an der Med-Uni Graz vor. Zusätzlich werden die demografischen und epidemiologischen Veränderungen den Bedarf der Bevölkerung an allgemeinmedizinischen Leistungen weiter erhöhen.

Neue Generation

Es zeige sich auch bereits, dass die neue Generation von Hausärztinnen und -ärzten ein neues Verständnis von Work-Life-Balance hat und vermehrt Teilzeit arbeiten will. "Unter Einbeziehung aller Faktoren müssen wir sogar mit bis zu 400 Nachbesetzungen von allgemeinmedizinischen Kassenpraxen pro Jahr rechnen", so Sprenger.

"Die Pensionierungswelle der Babyboomer kommt nicht überraschend, die Geburtsdaten der Ärzte waren allen bekannt", betont Sprenger. Die Verantwortlichen in den Ministerien, den Krankenkassen und den Ärztekammern hätten es bereits viel zu lange verabsäumt, wirksame Maßnahmen umzusetzen. Es sei höchste Zeit gegenzusteuern. Die Handlungsfelder und notwendigen Aktivitäten seien bereits gut erforscht und lägen auf dem Tisch. "Wir brauchen keine weiteren Expertenpapiere mehr, sondern Taten", so der Public-Health-Experte.

Bündel von Maßnahmen gefordert

So sieht etwa der Masterplan Allgemeinmedizin, der von der Österreichischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (ÖGAM) in Zusammenarbeit mit der Bundessektion Allgemeinmedizin der Österreichischen Ärztekammer, Universitäten und der Jungen Allgemeinmedizin Österreich (Jamö) erstellt wurde, ein Paket von Maßnahmen vor, das Abhilfe schaffen soll. Diese reichen von der Stärkung der Ausbildung an den Universitäten über die Forderung nach mehr praktischer Erfahrung während des Studiums, die Zuerkennung des Facharztstatus für Allgemeinmedizin und die Unterstützung bei der Gründung einer Hausarztpraxis bis hin zu flexiblen Modellen für den Kassenvertrag.

Darüber hinaus sollen Ärzte von administrativen Aufgaben entlastet und entsprechend honoriert werden. Das Angebot der Leistungen sollte auf internationalem Niveau und österreichweit einheitlich sein, für Ordinationen in schwierig zu besetzenden Regionen soll es Zuschläge geben. "Nur wenn es uns gelingt, den Beruf des Hausarztes aufzuwerten und sein Image zu verbessern, wird der Beruf für junge Menschen interessant sein", betont Susanne Rabady, Vizepräsidentin der ÖGAM.

Maßnahmen-Paket schnüren

Das Institut für Allgemeinmedizin und evidenzbasierte Versorgungsforschung (Iamev) hat 2017 einen "Maßnahmenkatalog zur Prävention eines allgemeinmedizinischen Landärztemangels" erstellt. "Im Rahmen der Studie haben wir international 95 unterschiedliche Maßnahmen identifiziert, die den verantwortlichen Institutionen jetzt zur Verfügung stehen. Es gibt aber kein Patentrezept, sondern wir brauchen die Umsetzung eines ganzen Maßnahmenbündels, und das so rasch wie möglich", betont Studienleiter Florian Stigler.

Grundsätzlich, so sind sich die Expertinnen und Experten einig, gäbe es in Österreich genügend Mediziner und ausreichend Studienplätze. Rund 1.300 Personen schließen jährlich das Studium ab, doch immer weniger wollen Hausarzt werden. "Die Zahl derjenigen, die die Prüfung zum Arzt für Allgemeinmedizin erfolgreich abschließen, sank in den letzten Jahren von fast 1.000 auf unter 400. Und es ist unklar, wie viele der Absolventen auch wirklich als Hausarzt oder Hausärztin arbeiten wollen", erklärt Sprenger.

Bessere Ausbildung

Für Andrea Siebenhofer-Kroitzsch, Leiterin des Instituts für Allgemeinmedizin und evidenzbasierte Versorgungsforschung an der Med-Uni Graz, beginnt das Problem bereits sehr früh: "Im gesamten Studium werden die angehenden Ärzte für das Klinikleben sozialisiert. Es sollte von Anfang an praxisnäher sein und ein konkreteres Bild von der Allgemeinmedizin liefern."

Die verpflichtende Lehrpraxis am Ende des Turnus sei, so sind sich die Expertinnen und Experten einig, ein wichtiger Schritt gewesen. "Wer einmal bei einem Allgemeinmediziner gearbeitet hat, ist viel positiver eingestellt", bestätigt Markus Brose von der Jungen Allgemeinmedizin Österreich (Jamö). Doch auch Lehrpraxisstellen sind nicht breit gesät und mit derzeit sechs Monaten Dauer auch zu kurz. "Die meisten Kollegen trauen sich nicht sofort nach der Arztprüfung die Übernahme einer Kassenstelle zu", betont Brose.

Partnerschaftliche Planung

Schuld sei auch das "jahrelange Krankjammern dieses, auch finanziell, hochattraktiven Berufs, das Jungärzte nachhaltig davon abgehalten hat, sich für den Weg in die Allgemeinmedizin zu entscheiden", meint die Direktorin der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse, Andrea Wesenauer. "Daneben haben mehrere bundespolitische Maßnahmen innerhalb weniger Jahre von einer Ärzteschwemme in die nun bestehenden Nachbesetzungsprobleme bei Hausärzten geführt. Was Österreich nun dringend braucht, ist eine partnerschaftliche Planung in der Ärzteausbildung unter Einbeziehung der Sozialversicherung, wo auch der Bedarf im so wichtigen niedergelassenen Bereich umfasst ist."

Auch die Wiener Pflege- und Patientenanwältin Sigrid Pilz sieht akuten Handlungsbedarf: "Die Primärversorgung ist ein zentraler Teil unseres Gesundheitssystems. Es muss alles unternommen werden, um die flächendeckende Versorgung in ganz Österreich sicherzustellen. Dazu braucht es neue Formen der interdisziplinären Teamarbeit und flexible Praxismodelle. Das Durchschleusen im Drei-Minuten-Takt frustriert sowohl die Ärzte als auch die Patienten und mindert die Qualität der Versorgung." (Andrea Fried, 28.6.2019)