Nest? Tornado? Liniengewirr von Otto Zitko.

Foto: Bildrecht, Wien 2019 / Foto Lisa Rastl, Wien

Eines von Otto Zitkos Spirogrammen.

Foto: Bildrecht, Wien 2019 / Foto Lisa Rastl, Wien

Otto Zitko mag und malt große Gesten in kräftigen Farben. Hier auf drei mal vier Meter (2010).

Foto: Bildrecht, Wien 2019

Wie eine fette Spinne sitzt der weiße Fleck in einem Nest lasch hängender Fäden. Spirogramme heißen diese Bilder. Bei einer medizinischen Überprüfung seiner Lungenfunktion erblickte der Künstler auf dem Monitor des Untersuchungsgerätes diese von seiner Atmung hervorgebrachten digitalen Spuren. Er druckte die Linienknäuel aus und hängte sie an die Wand. Sie sehen jedoch so aus, als kämen sie geradewegs aus der Spraydose.

So vielfältig Otto Zitkos Malmaterialien sind, so treu bleibt der Künstler seit etwa 30 Jahren seinem bevorzugten Motiv. Mit Ölstift, Ölfarbe, Kohle, Kreide, Lack oder Ruß beschreibt er auf Papier, Karton, Alu, Holz oder hinter Glas seither nämlich immer und immer wieder ein Gewurl aus Linien. Manchmal decken die Kritzeleien den Malgrund fast zu, dann wieder lassen sie ihm mehr Luft.

Königsblaue Kringel im Format zwischen Schulzeichenblock und Großformaten von drei mal vier Metern Länge stammen von 2010. So farblos, als hingen sie hinter Seidenpapier, rekeln sich ähnliche, aber doch andere Schlaufen in einer mittelformatigen Serie von 2015. Hier scheinen keine Spiralen und Kreisformen, sondern Serpentinen und Haarnadeln aus Zitkos Pinsel geflossen.

Grob, neu und wild

Wer es einmal gesehen hat, wird es immer wieder erkennen. Im Linzer Lentos bietet die Schau Retroprospektiv aktuell die Gelegenheit, mit dem Blick durch das ganze Werk des Lokalmatadors zu streifen. Heuer feierte er seinen 60er. Zu sehen sind Beispiele aus seiner gegenständlichen Frühphase bis zum aktuellen Schaffen.

1959 geboren, studierte Zitko ab Ende der 70er an der Angewandten in Wien, allerdings nicht zu Ende. Dem Erfolg war das nicht abträglich, schon in seiner ersten Ausstellung in der Galerie von Peter Pakesch verkaufte er gut. Zitko war mit seinen dichtbepackten Bildern einer der sogenannten Neuen Wilden, die in den 80ern die Kunstszene mit grob erscheinender Technik aufmischten. Ein Selbstporträt aus dieser Zeit zeigt ihn mit heftig in die Farbe gekneteten Zügen so, als hätte ihm einer das Gesicht zu Brei getreten. Nur eine Nase ragt daraus noch hervor.

Vulkanausbruch in Atlantis

Ein anderes Bild sieht aus, als hätte der Maler es mir nix, dir nix zum Abstreifen der Pinsel benutzt. Einen Zentimeter wölbt sich der Farbpanzer an seiner bauchigsten Stelle. Ein weiteres sieht aus wie ein braun spritzender Vulkanausbruch am blauen Meeresboden des versunkenen Atlantis.

Zitko hat die Ölfarben mit Pinsel und Maurerkelle anfangs dick übereinandergeschichtet. Die Farbbatzen und -klumpen picken bröckelig auf der Leinwand. Der wurde diese Last manchmal zu schwer und sie brach einfach zusammen. Weil Zitko der Trocknungsprozess ohnehin zu lange dauerte, war er deshalb aber nicht besorgt. Ende der 80er machte er kurzerhand Schluss mit dem Öl.

All das erfährt man in dem Begleitheft, in dem die verschiedenen Werk- und Materialphasen kundig erläutert werden. So richtungslos wie die Striche und Linienknäuel der Werke scheint auch sonst deren Absicht. Dass die Arbeiten allesamt kaum Titel tragen, erleichtert ihr Verständnis nicht. Gefährlich an so einem klaren Personalstil ist, dass er leicht monoton werden kann. Bekam Zitko von all dem Kreisen je einen Drehwurm, einen Tennisarm oder eine ordentliche Sehnenscheidenentzündung?

Mit der Hebebühne hoch hinaus

Besonders schön ist eine Serie von in gerußtes Glas gewischten Arbeiten. Cremig weiß ziehen sich dort die Schlaufen vor dem samtig tiefschwarzen Hintergrund. Diese Bilder haben etwas ungemein Feines an sich. Grob ziehen sich indes nebenan Schnitte und Ritzen und Brandflecken über die Holzplatten einer Serie von 1990.

Wenn der Pinsel groß genug ist, wachsen diese Bilder auch in den Raum. In Hamburg, Krakau, Neu-Delhi, New York und bei der Biennale in Venedig – seit den 90ern hat Zitko sie überall gezeigt und gezeichnet. Seine Schlaufen sind in Vorzimmer hineingewuchert und haben dank Hebebühnen auch Treppenhäuser erklommen.

An den Rändern fransen diese Striche aus und werden brüchig. Es wohnt ihnen also gar nichts von der technischen Glattheit der computergenerierten Raumskulpturen eines Peter Kogler inne. Perfekte Kurvenradien und harmonischer Dichteverteilung sind ihre Sache nicht, menschliche Einfalt und Sprunghaftigkeit leitet sie an.

Eine Fratze im Gewurl

Eine Gruft in Gmunden überzog Zitko mit einer Spirale, in Graz verschönerte er die Kirche St. Andrä mit Kringeln über dem Altar. Leuchtet hinter dem Gewurl das Licht der Auferstehung? Im Wiener Restaurant Skopik & Lohn speisen Gäste indes unter einem schwarzen Liniengewitter. In manchem Kunstverein zuckte es durchs Gewölbe wie in einem Höllenschlund. Zitko malte aber auch schon Privatschwimmbäder aus.

In Linz gebärdet sich sein Raumkunstwerk vergleichsweise brav. An der Stirnwand des letzten Raumes prangt es fünf Meter hoch und zehn Meter breit, etwas wie eine Fratze grient die Besucher an. Es gibt keine Entwürfe zu diesen Riesenstrukturen. Wenn Zitko abstrakt nicht weiterweiß, findet er für Sekunden Zuflucht in einer konkreten Assoziation. Gleich seinem Betrachter. (Michael Wurmitzer, 27.6.2019)