Andreas Matthä startete als HTL-Tiefbautechniker bei den ÖBB, wechselte dann ins Controlling und in die Finanzen, machte Zusatzausbildungen und avancierte zum Vorstandssprecher der Infrastruktur AG. Im Juli 2016 wurde er zum Nachfolger Christian Kerns als Vorstandschef der ÖBB Holding.

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Seit 37 Jahren ist Andreas Matthä Eisenbahner. Und das in der fünften Generation. Er startete als HTL-Tiefbautechniker bei den ÖBB, wechselte dann ins Controlling und in die Finanzen, machte Zusatzausbildungen und avancierte zum Vorstandssprecher der Infrastruktur AG. Im Juli 2016 wurde er zum Nachfolger Christian Kerns als Vorstandschef der ÖBB Holding.

Aktuell versucht der Mobilitätskonzern, die Personaldefizite aus den 90ern zu beheben – es wurde kaum eingestellt, weswegen quasi in einem Schwung rund ein Viertel der Belegschaft in Pension geht. Das bedeutet konkret: 10.000 offene Positionen in den kommenden Jahren, allein heuer stehen 3.000 Neueinstellungen auf dem Plan. Der Vorstandschef ist in Sachen Arbeitgebermarketing selbst viel auf der Piste, geht in Schulen und übernimmt quasi die Rolle des Chefwerbers für den Konzern.

STANDARD: Die ÖBB suchen querbeet – von der Bautechnik über die Zugbegleitung bis zum Verschub. Warum rührt der Generaldirektor persönlich die Werbetrommel? Sie haben ja eine gut besetzte Recruitingabteilung und sind als Konzern auf Jobmessen, auf Unis dauerpräsent.

Matthä: Ich glaube daran, dass jeder Mensch einen Platz hat, auf den er gut passt. Es geht daher darum, dass wir alle mit einem guten Auge auf Menschen und ihre Entwicklungsmöglichkeiten schauen, Menschen nach ihren Fähigkeiten ansehen. Und ich selbst bin einfach ein gutes Beispiel, dass sich im System Bahn immer auch eine neue Aufgabe finden lässt, man mehrmals den Job wechseln kann, Neues lernen und trotzdem im Konzern bleiben kann – in Österreich oder in einem der 18 Länder, in denen wir auch tätig sind. Natürlich gehört es zu meinen Aufgaben, an der "Next Generation Eisenbahner" zu arbeiten.

STANDARD: Man kriegt Sie also zu sehen ...

Matthä: Ja sicher, ich fahre sehr oft durch die Bundesländer, zu unseren Standorten. Vor Ort zu sein ist für mich eigentlich das Schönste.

STANDARD: Bei aktuell rund 13 Prozent Frauenanteil ließe sich die große Recruitingwelle gut für mehr Diversität nützen, oder?

Matthä: Selbstverständlich! Wir haben je nach Bereich auch interne Vorgaben für Frauenquoten, in der Fahrdienstleitung sind das etwa 25 Prozent, beim Verschub selbstverständlich weniger, weil das dort so nicht realistisch wäre. Wir haben da sehr viel in Gang gesetzt in den vergangenen Jahren, aber die Frauenquote zu erhöhen ist nicht so einfach, wie man vielleicht glauben möchte. Aber für unsere Zukunftsfähigkeit, damit wir stärker werden, müssen wir unser Reservoir nach Kräften erweitern – natürlich kann in Bezug auf Diversität und Barrierefreiheit ein Rollstuhlfahrer sehr gut in der Betriebsführung sitzen.

STANDARD: Ein so riesiger Wechsel in der Belegschaft hat große Auswirkungen auf die Unternehmenskultur – auch wenn es bereits seit Mitte der 90er keine Definitivstellungen mehr gibt?

Matthä: Ja – und die Frage ist: Kann man das steuern? Wir setzen da auf allen Ebenen an, tatsächlich geht es aber immer um das Leben der Werte und der Unternehmenskultur, das heißt: führen durch Vorbild.

STANDARD: Das bedeutet konkret?

Matthä: Behandle alle Mitarbeiter so, wie du selbst behandelt werden möchtest. Deswegen hängt auch ein Spiegel hier in meinem Büro.

STANDARD: Wie geht es Ihrem Konzern im Recruiting? Ist die Bahn attraktiv als Arbeitgeber?

Matthä: Im technischen Bereich von der HTL aufwärts matchen wir uns natürlich mit der Industrie. 90 Prozent der Gesuchten brauchen wir allerdings an den Kassenschaltern, als Lokführer, für die technische Instandhaltung. Da sehen wir, dass wir mit einem ökologischen und sinnvollen Produkt oder besser gesagt einer Dienstleistung zunehmend punkten können. Dass wir versuchen, über sehr viel Investment in unsere derzeit 22 Lehrberufe und fast 2.000 Lehrlinge vorzusorgen – eh klar.

Aber eine gute Nachricht ist auch, dass es bei uns außer körperlich extrem fordernden Arbeiten auch sehr viele Bereiche für Menschen 50 plus gibt. Da wir selbst ausbilden, können wir die Pflichtschulabsolventen auch gut abholen. Es ist auch sinnvoll, jetzt nicht nur ganz Junge zu rekrutieren, denn sonst erschaffen wir die nächste Bugwelle in der Belegschaftsstruktur. Das halte ich für nicht gescheit.

STANDARD: Auch mit dem Sicherheitsargument, oder schwächt sich das mit weitergehender Liberalisierung ab?

Matthä: Wir sind ein österreichisches Unternehmen, wir haben unsere Wurzeln hier. Das ist aber nicht unsere Grenze. Ich glaube, diese Argumente sind nicht zu vernachlässigen.

STANDARD: Recruiting ist die Visitenkarte eines Unternehmens. Das sagen alle, aber trotzdem erhalten so viele Bewerberinnen und Bewerber oft nicht mehr als eine automatische Antwort. Wie genau nehmen Sie das mit diesem Reputationsmanagement?

Matthä: Auch Bewerber, die keinen Job bekommen oder ihn dann im Verlauf nicht wollen, sind Botschafter. Da ist sehr achtsam und genau vorzugehen. Ich verlange, dass jede und jeder eine Antwort erhält – aber wahrscheinlich haben wir da noch ein wenig Luft nach oben. (Interview: Karin Bauer, 1.7.2019)