Detmold – Zum Auftakt des Prozesses um den massenhaften Kindesmissbrauch im nordrhein-westfälischen Lügde haben sich zwei der drei Angeklagten öffentlich zum Großteil der ihnen vorgeworfenen Taten bekannt. Die als Haupttäter geltenden Angeklagten gaben den sexuellen Missbrauch vor dem Landgericht Detmold in nahezu allen angeklagten Fällen zu.

Insgesamt geht es in dem Verfahren um rund 450 Fälle sexuellen Kindesmissbrauchs. Der dritte Angeklagte wurde am Nachmittag in nicht öffentlicher Sitzung zu den Vorwürfen gegen ihn vernommen. Über den Inhalt seiner Aussage wurde zunächst nichts bekannt.

Mit den Geständnissen der beiden Hauptangeklagten könnte den Opfern des sexuellen Missbrauchs eine inhaltliche Befragung zu den Taten vor Gericht erspart bleiben. Der 56-Jährige erklärte über seinen Anwalt, er räume einen Großteil der ihm zur Last gelegte Taten ein, werde aber vor Gericht keine weiteren Angaben machen und auch keine Fragen beantworten.

Bittet Opfer um Entschuldigung

Der 34 Jahre alte zweite Hauptangeklagte betonte in einer von seinem Verteidiger verlesenen Erklärung, er räume mit wenigen Ausnahmen "sämtliche mir zur Last gelegten Fälle ein". Ihm sei in der U-Haft klar geworden, "welches Leid und welchen Schrecken ich den Kindern zugefügt habe". Er bereue seine Taten und bitte die Opfer um Entschuldigung.

Dem aus Lügde stammenden 56-Jährigen legt die Detmolder Staatsanwaltschaft zahlreiche Straftaten zur Last, die er im Sommer 1998 und seit Anfang 2008 bis Ende 2018 an Kindern begangen haben soll. Der 34-Jährige soll von 1999 bis zum Jänner dieses Jahres ebenfalls in zahlreichen Fällen Kinder sexuellen missbraucht haben. Dem 49 Jahre alten Drittangeklagten wirft die Anklage unter anderem Anstiftung zum sexuellen Missbrauch von Kindern sowie Beihilfe vor.

Zum Auftakt des Lügde-Prozesses schloss das Gericht Zuhörer und Medienvertreter gleich mehrfach von der Hauptverhandlung aus. Auch die Verlesung der Anklageschrift fand hinter verschlossenen Türen statt. Die Vorsitzende Richterin Anke Grudda begründete den Ausschluss der Öffentlichkeit mit dem schutzwürdigen Interesse der Opfer, deren Namen, Geburtsdatum und Wohnort in der Anklageschrift enthalten sind.

Noch vor Verlesung der Anklageschrift richtete die Vorsitzende Richterin einige grundlegende Bemerkungen über das Lügder Missbrauchsverfahren an Prozessbeteiligte und Zuhörer. Die den drei Angeklagten vorgeworfenen Taten sei "zweifelsohne abscheulich", sagte Grudda. Der lange Tatzeitraum von mehr als 20 Jahren und die große Zahl der mutmaßlichen Straftaten mache "fassungslos". Zugleich wandte sich Grudda gegen eine Vorverurteilung der Angeklagten.

Größter Missbrauchsskandal

Grudda wies darauf hin, dass ein mögliches Behördenversagen im Fall des jahrelangen Kindesmissbrauchs von Lügde nicht Gegenstand des Strafprozesses sei. Auch die Frage, warum die mutmaßlichen Missbrauchstaten über einen solch langen Zeitraum unentdeckt blieben, sei nicht Thema des Verfahrens.

In dem Prozess vor der Detmolder Jugendschutzkammer treten 27 Opfer als Nebenkläger auf. Für das Verfahren beraumte das Landgericht Detmold zunächst insgesamt zehn Verhandlungstage bis Ende August an.

Der Fall Lügde gilt als einer der größten Missbrauchsskandale der vergangenen Jahrzehnte. Der jahrelange Kindesmissbrauch auf dem Campingplatz im Kreis Lippe war Ende Jänner bekannt geworden. In der Folgezeit wurden eine ganze Reihe von Ermittlungspannen und Behördenfehler in dem Fall offenkundig. Unter anderem verschwand bei der Polizei Lippe Beweismaterial. Auch das Verhalten von Jugendämtern im Tatzeitraum wurde scharf kritisiert. (APA/AFP, 27.6.2019)