Individueller Verzicht allein wird nicht reichen. Größere Hebel hat die Klimapolitik, wie die Fridays-for-Future-Bewegung betont.

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Im Gastkommentar plädiert Ökonom Fred Luks dafür, das Klimadesaster nicht nur aus der persönlichen Perspektive zu betrachten. Ihm sei nur politisch, etwa durch eine ökologische Finanzreform, beizukommen.

Die Welt erlebt eine Nachhaltigkeitskrise ersten Ranges. Aus diesem Schlamassel gibt es nur einen Ausweg, wenn die westliche "imperiale Lebensweise", von der die Autoren Ulrich Brand und Markus Wissen sprechen, umgebaut wird. Ja, wir brauchen das, was manche eine "große Transformation" nennen. Faktoren wie der Hitzesommer 2018 und die Bewegung Fridays for Future haben dazu geführt, dass diese Herausforderung es – zumindest vorübergehend – in den Mainstream geschafft hat. In Übereinstimmung mit dem wissenschaftlichen Kenntnisstand fordern viele junge Menschen wirksame Schritte, um eine lebenswerte Zukunft zu retten.

Fridays for Future betont dabei nicht individuelle Verhaltensänderungen, sondern stellt dezidiert politische Forderungen auf. Doris Knecht hat einen ganz anderen Zugang (siehe "Ein bisschen besser ist besser als nichts"). Sie beschreibt ein wohl verbreitetes Gefühl des Unbehagens, zieht daraus aber problematische Schlussfolgerungen. Statt auf politische Reformen und veränderte wirtschaftliche Rahmenbedingungen zu setzen, legt sie nahe, dass ein moralisches Gutsein der Umwelt nützt. Notwendig ist aus dieser Sicht ein tiefempfundenes, quälendes Schuldgefühl. Der Pfad zur ökologischen Tugendhaftigkeit führt durch die Hölle der Selbstkasteiung. "Schuld" empfinden sollten wir. In Knechts Beitrag kommt das Wort allein in einem Absatz sieben Mal vor, das Wort "Politik" im ganzen Text nicht.

Quälende Schuldgefühle

Dort heißt es: "Wir brauchen viel mehr extrem schlechtes Gewissen, nur echte, nagende, quälende Schuldgefühle werden letztlich unser Bewusstsein ändern. Und in der Folge unsere Einstellung, unser Verhalten, unseren Lebensstil, unsere Konsumgewohnheiten." Das "in der Folge" ist denkbar falsch: Dass Wissen und Einsicht nicht zu Verhaltensänderungen führt, wissen nicht nur Lottospieler und Kettenraucherinnen, sondern ist in der Umweltforschung lange bekannt. Natürlich ist "ein bisschen besser als nichts". Der Glaube, damit die Klimakatastrophe abwenden zu können, ist freilich verfehlt.

Der Text suggeriert, dass private Weltrettungsstrategien das Klimadesaster verhindern könnten. Das hört man oft: ökologisch konsumieren, runter vom Gas, Müll trennen – dann klappt das mit Klimarettung und Nachhaltigkeit. Das ist, so klar muss das leider gesagt werden, ein unproduktiver Irrweg. Tipps zur Weltrettung, die in diese Richtung gehen, schrieb der Soziologe Harald Welzer schon vor mehr als zehn Jahren, "stehen nicht nur in einer grotesken Relation zur Dimension des Problems, mit dem man es zu tun hat, sondern reduzieren Niveau und Komplexität der Verantwortungs- und Verpflichtungsaspekte des Klimawandels radikal, indem sie diese individualisieren".

Ein Elitenprogramm

Beim individuellen Konsum anzusetzen ist womöglich ein Elitenprogramm, das vor allem gutsituierte Stadtmenschen anspricht. Wichtiger: Es lenkt die Aufmerksamkeit nicht auf die relevanten – nämlich gesellschaftlichen – Probleme, sondern im Gegenteil von diesen ab. Diese Gefahr beschreibt auch der Physiker und Philosoph Armin Grunwald: "Es ist immer einfacher und lässt sich in den Massenmedien besser verkaufen, die Schuld und das 'Böse' zu personifizieren, statt sich mit komplexen Strukturen zu befassen. Eine Vorgehensweise, die simplifiziert und meist in die Irre führt."

Und zwar ordentlich. Unser Handeln findet eben nicht im luftleeren Raum statt. Grunwald attestiert der Debatte über nachhaltigen Konsum, sie schiebe den Konsumentinnen und Konsumenten "eine Verantwortung zu, die sie weder tragen wollen noch können. Sie blendet die politische Dimension der Nachhaltigkeit aus. Sie moralisiert und arbeitet mit dem Druck der 'political correctness'." Das ist zwar schlecht für die Stimmung, trägt aber leider nichts zum Klimaschutz bei.

Ökologische Preisgestaltung

Natürlich ist es pervers, wenn eine Zugfahrt nach Kärnten mehr kostet als ein Flug nach Barcelona. Gewiss ist es bizarr und falsch, wenn Menschen zum Einkaufen für ein Wochenende nach London fliegen. Aber gerade der Flugverkehr zeigt, dass gut gemeinte Bemühungen von Einzelpersonen reichlich wirkungslos sind. In den nächsten zwanzig Jahren wird sich die Zahl der Flugpassagiere und der Flugzeuge weltweit in etwa verdoppeln. Die Hälfte dieser Flugzeuge wird für asiatische Fluggesellschaften fliegen. Allein in China, so berichtete DER STANDARD neulich, werden in den nächsten 15 Jahren 216 (!) neue Flughäfen gebaut – durchschnittlich mehr als einer pro Monat.

Solchen Wachstumsdynamiken ist nicht privat beizukommen, sondern nur politisch. Eine ökologische Finanzreform, die ökologische Faktoren bei Steuern und Subventionen berücksichtigt, ist dafür ein Beispiel. Klimafreundliche Innovationen bringt die Wirtschaft besser zustande, wenn Preise "die ökologische Wahrheit sagen".

Grunwalds Warnung vor einer Privatisierung der Nachhaltigkeit und seine Forderung nach ihrer Politisierung sind höchst aktuell. Klimadesaster und Nichtnachhaltigkeit sind, ebenso wie Arbeitslosigkeit und Migration, gesellschaftliche Themen. Sie gehören gesellschaftlich und also politisch bearbeitet. Wer sich schuldig fühlen will, darf das natürlich. Für das Klima oder die Gesellschaft ist damit nichts gewonnen. (Fred Luks, 28.6.2019)