Es gab eine große "Verwandtschaft" zwischen Pina Bausch und ihren Tänzern.

Pina Bausch Foundation

Vor laufender Fernsehkamera kamen dem renommierten deutschen Tanzkritiker Jochen Schmidt die Tränen, als er kurz nach Pina Bauschs Tod am 30. Juni 2009 etwas über die Bedeutung der großen Choreografin sagen sollte. Nur einige Monate später erkrankte er selbst und starb im Jahr nach dem Ableben der von ihm innig verehrten Künstlerin.

Da wurden bereits intensive Verhandlungen darüber geführt, wie mit Bauschs künstlerischem Erbe umzugehen ist. Denn einzigartig waren nicht nur ihre Stücke, sondern auch ihre Arbeitsweisen. Als Künstlerin war Pina Bausch eng mit ihrem Ensemble verbunden. Man dachte, arbeitete, probte gemeinschaftlich. Die Kunst wurde nicht einfach "produziert", sondern ergab sich aus langen, intensiven Prozessen, deren Leitlinien die Fragen der Choreografin zeichneten, die sie ihren Tänzern stellte.

Was alle bewegt

"Es ist ein bisschen so, als ob man heiratet und nachträglich miteinander verwandt wird", sagte sie einmal über ihr Verhältnis zu ihren Tänzern, und bis zum Ende galt: "Mich interessiert nicht, wie die Menschen sich bewegen, sondern, was sie bewegt." Die "Verwandtschaft" zwischen Pina Bausch und ihren Tänzern hat es ermöglicht, dass das Tanztheater Wuppertal bis heute aktiv ist und dass seine Stücke weiterhin aufgeführt werden können. Es war kein leichter Weg.

Théâtre des Champs-Elysées

Künstlerische Leitungen und Geschäftsführung wechselten, die 2017 bestellte Intendantin Adolphe Binder wurde im Vorjahr entlassen, weil sie mit dem Ensemble keine Einigung über den künftigen Spielplan erzielen konnte.

Seit November 2018 lenkt Bettina Wagner-Bergelt die künstlerischen Agenden der Company, deren Geschicke in der internationalen Tanzwelt genau beobachtet werden. Denn hier geht es um mehr als "nur" den Erhalt des Werks von Pina Bausch. Es geht um Grundsatzfragen und Weichenstellungen, die den modernen und postmodernen Tanz ganz allgemein betreffen: Wie sollen dessen oft hochkomplexe historische Werke der Gegenwart zugänglich bleiben und der Nachwelt erhalten werden?

Frage nach der Einmaligkeit

Vor allem in den Nullerjahren, nach dem großen, postmodernen Aufbruch der zeitgenössischen europäischen Choreografie im Jahrzehnt davor, wurde der Begriff "Rekonstruktion" leidenschaftlich diskutiert. Jedes Stück sei, hieß es, unverbrüchlich mit den Menschen verbunden, die es erarbeitet haben.

Der Prozess seines Zustandekommens sei nicht reproduzierbar. Und überhaupt stehe jede Aufführung für sich, daher gebe es auch kein richtiges Original im Tanz. Alle Versuche einer späteren "Rekonstruktion" würden lediglich Bearbeitungen erzeugen. Also solle man das auch einbekennen und jede Wiedererarbeitung dokumentarisch in die Aufführung einfließen lassen.

Barbican Centre

Diese Debatte führte in Europa zu einem verstärkten Interesse an historischen Arbeiten. Yvonne Rainer etwa wurde schon in den 1990er-Jahren von Franzosen – der Gruppe Le Quatuor Albrecht Knust – wiederentdeckt. Auch den anderen Gründern des New Yorker Judson Dance Theater, mit dem der postmoderne Tanz in den USA begonnen hatte, kam neue Aufmerksamkeit zu. Das Echo dieser Diskussionen war in Deutschland besonders stark. Es hat den Erhalt der Formation Tanztheater Wuppertal sicherlich mitbefördern geholfen.

Alles auflösen

Wie es anders gehen kann, führte Merce Cunningham vor, der nur zwei Wochen nach Bausch in New York starb. Er hatte verfügt, dass seine Company zwei Jahre nach seinem Tod aufgelöst werden müsse.

Die Rechte am Werk des Choreografen gingen an einen Trust, der seither bestimmt, welche Kompanien Cunninghams Stücke aufführen dürfen. Es gibt auch eine Pina Bausch Foundation. Dank der weiterhin aktiven Tänzer ist sie jedoch ein lebendiger Organismus geblieben.

ImPulsTanz

Anzeichen von Erschöpfung

Noch knapp drei Wochen vor ihrem Tod hatte Bausch mit ihrer Company Tanztheater Wuppertal die Uraufführung ihres jüngsten Stücks gefeiert. Da zeigte die Choreografin bereits Anzeichen großer Erschöpfung. "Pina war ausgebrannt", sagte Wim Wenders, der gerade mit den Dreharbeiten für einen Film über die 68-Jährige beginnen wollte. Sie habe einen Kuraufenthalt geplant, und bei den Voruntersuchungen dafür sei die Diagnose gekommen: Krebs.

Wenders' Hommage wurde zum Nachruf: "Pina – tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren" kam 2011 in die Kinos. Eine Ära war zu Ende. Trotzdem zählt Pilippine "Pina" Bausch bis heute zu den weltweit einflussreichsten zeitgenössischen Choreografinnen. Sie hatte Anfang der 1970er-Jahre das deutsche Tanztheater erfunden. Es stand für ein zutiefst humanes Deutschland und zählte damit zu den kulturellen Stützen der späten Nachkriegszeit.

Comeback bei Impulstanz

Beim kommenden Impulstanz-Festival zeigt das Tanztheater Wuppertal Pina Bausch, wie die Company heute offiziell heißt, im Burgtheater das im Jahr 2000 entstandene Stück "Masurca Fogo" (16. bis 19. Juli). Bereits am 12. Juli ist der Film von Wim Wenders zu sehen. (Helmut Ploebst, 27.6,2019)