"Was heißt 'aus dem Budget bezahlen'?", fragt Wifo-Chef Christoph Badelt ungläubig, wenn er über die jüngste politische Debatte zur Pflegefinanzierung spricht.

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Die Wirtschaft soll heuer und im kommenden Jahr langsamer wachsen. Der Grund dafür ist die schwache globale Dynamik – für eine Exportnation wie Österreich ein Dämpfer. Dafür sind immer mehr Menschen im Land beschäftigt und haben, auch dank des Familienbonus, mehr Geld zum Ausgeben. Das kurbelt den Konsum an, der Abschwung bleibt somit verhalten.

Die internationalen Risiken haben sich jedoch erhöht – darunter der Brexit, der Handelskrieg, die Budgetkrise in Italien und womöglich ein Nahost-Konflikt. Das sind die Kernaussagen der gemeinsam am Donnerstag präsentierten Konjunkturprognosen von IHS und Wifo. Also kein Grund zur Panik.

Während das IHS seine Erwartungen gegenüber der März-Prognose nicht revidierte, schwenkte das Wifo bei den Erwartungen für 2020 um: Statt eines leichten Plus rechnet das Wifo nunmehr mit einem Rückgang beim BIP-Wachstum. Mit der Abkühlung der Konjunktur soll auch die Beschäftigungsdynamik abflauen. Der mehrjährige Rückgang bei der Arbeitslosigkeit gerate ins Stocken, schreibt das Wifo: Die Beschäftigung dürfte zwar weiter steigen, aber nicht genug, um eine höhere Arbeitslosigkeit zu verhindern (siehe Grafik).

Budgetpolster

Die Wirtschaftsforscher waren sich einig, dass der Wahlkampf und das freie Spiel der Kräfte im Parlament zu undurchdachten Maßnahmen geführt haben. Um dem Konjunkturabschwung im kommenden Jahr zu begegnen, sollte die nächste Regierung aber noch Spielraum für eine Steuerreform haben, plädieren die Ökonomen.

Derzeit gäbe es dafür einen Polster. Das Wifo rechnet mit Budgetüberschüssen von jeweils 0,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts heuer und 2020. Das entspricht einem Spielraum von rund 2,4 Milliarden Euro im Jahr. Das IHS ist leicht pessimistischer.

Kritik an Pflegedebatte

"Überschüsse wecken die Begehrlichkeiten", warnt Wifo-Chef Christoph Badelt. Hart ins Gericht ging er mit der aktuellen politischen Debatte rund um die Pflege: "Das ist ein ideales Beispiel, wie es nicht laufen sollte", sagt Badelt und nimmt dabei keine Partei aus. "Alle Vorschläge beschränken sich auf Schlagworte."

Das Pflegegeld sei mit dem Gedanken eingeführt worden, Betroffenen mehr Freiraum zu geben, erinnert der Ökonom, "aber nicht mit Blick auf demente Personen". Hier stelle sich die Frage, wie das Verhältnis von Geld- zu Sachleistungen aussehen soll.

Außerdem brauche es ein Konzept, wie die Pflege finanziert wird und ob ein Eigenbeitrag anfallen soll. Statt dieser Debatten blieb einfach die Erhöhung des bestehenden Pflegegeldes übrig. Das sei im Prinzip keine schlechte Sache, aber man brauche ein Gesamtkonzept. "Bitte hörts auf mit dieser Art von Diskussion und schauen wird, dass wir zur Wahl kommen", wünschte sich Badelt.

IHS-Chef Martin Kocher pflichtet seinem Kollegen hier bei. Die beschlossene Erhöhung des Pflegegeldes sei ein "Paradebeispiel" für konzeptlose Politik. Bisherige Beschlüsse im freien Spiel der Kräfte hätten aber den Spielraum für eine steuerliche Entlastung nicht stark beschnitten.

Was nicht ist, könne aber noch werden. Die Wirtschaftsforscher betonen, dass sämtliche optimistische Annahmen über die freien staatlichen Mittel auf der Annahme basieren, dass bis zum Jahresende kein zusätzlicher Euro ausgegeben wird. Unrealistisch, klar, aber ohne die nächste Regierung zu kennen, sind Spekulationen nicht sinnvoll, lautet die Erklärung.

Jetzt sei die Zeit, um künftige Reformen vorzubereiten und auf eine solide Faktenbasis zu stellen. Hier könne die Übergangsregierung aktiv werden. Ein "brennendes Thema" sei die Umwelt. Die künftige Steuerreform solle ökologische Aspekte aufgreifen. Das habe in den Plänen der türkis-blauen Regierung gefehlt.

Doch auch hier müssten einzelne Maßnahmen gesamtheitlich abgestimmt werden. Zum Beispiel wäre eine Abschaffung der Pendlerpauschale ökologisch sinnvoll, würde aber sozial Schwächere treffen und die ländliche Mobilität einschränken, geben die Ökonomen zu bedenken.

Wenn die Politik keine sinnvolle Kompensation beschließen würde, könnte sich Widerstand in der Bevölkerung regen. Badelt erinnert hier an die Gelbwesten in Frankreich, die mitunter wegen einer höheren Spritsteuer auf die Barrikaden stiegen.

EZB gehen Ideen aus

Eine andere wirtschaftspolitische Front spielt der künftigen Regierung in die Hände: "Wir erwarten eine lange Phase niedriger Zinsen, egal wer EZB-Präsident wird", sagt Kocher. Das Gerangel um den Topjob in Frankfurt würde letztlich nur über die künftige "Rhetorik" entschieden. Staaten wie Österreich können sich somit auf viele Jahre zu günstigen Konditionen verschulden. Vielleicht wäre es an der Zeit, dass die EZB ihr Inflationsziel von knapp zwei Prozent überdenkt. "Sie wird es wohl nicht mehr erreichen", meint Kocher. (Leopold Stefan, 27.6.2019)