Bibliothek der Provinz

Was lange währt, wird endlich gut: wahre Worte von Emil Brix, dem Direktor der Diplomatischen Akademie Wien, bei der Präsentation des 400-Seiten-Schmökers "Nachbarn" Anfang dieser Woche. Von der Komplexität des Werkes, die auch dessen fast zehnjährige Entstehungsgeschichte erklärt, gibt schon der Zusatztitel eine Ahnung: "Ein österreichisch-tschechisches Geschichtsbuch".

Hier wurden nicht einzelne Beiträge jeweils verschiedener Historikerinnen und Historiker aus zwei Staaten aneinandergereiht, wie es in unzähligen Konferenzbänden ohnehin gängige Praxis ist. Der Anspruch war ein völlig anderer: An jedem Kapitel sollten Fachleute aus beiden Ländern direkt zusammenarbeiten. Motto: eine gemeinsame Geschichte, zwei Narrative, ein gemeinsamer Text.

Diese Herangehensweise merkt man den fein gesponnenen Analysen auch an. Unterschiedliche Schwerpunktsetzungen ergänzen einander ebenso wie das profunde Wissen um Stereotype im jeweils eigenen Land. Nur wer diese kennt, kann sie auch sicher umschiffen – oder eben gleich direkt zum Thema machen.

Der Bogen spannt sich von den böhmischen und österreichischen Ländern im Mittelalter bis zum Fall des Eisernen Vorhangs 1989 und der aktuellen Mitgliedschaft beider Staaten in der Europäischen Union. Klar, dass dabei den besonders sensiblen Perioden wie jener nach dem "Anschluss" Österreichs an Hitlerdeutschland und der Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren sowie der späteren Vertreibung der deutschsprachigen Zivilbevölkerung aus der Tschechoslowakei besonders viel Augenmerk geschenkt wird.

Die umsichtige Gestaltung bezog sogar begleitende Gespräche mit der interessierten Öffentlichkeit ein. Heraus kam etwa das Kapitel über Kunst, das von Lesern in spe angeregt wurde. Das braucht eben Zeit. Jahrelang haben selbst Politiker auf bilateralen Besuchen auf das Buch verwiesen, das erst fertig werden musste. Das Warten hat sich gelohnt. (Gerald Schubert, 27.6.2019)