Immer wieder ist die Rede von "Kommunikation auf Augenhöhe". In den politisch turbulenten letzten Wochen und Monaten haben Regierungsmitglieder wiederholt gezeigt, dass ihnen daran wenig liegt: keine Fragen bei Pressekonferenzen, keine Auskünfte – "Message-Control" vom Feinsten. Journalistinnen und Journalisten – und damit auch die Bevölkerung – blieben bloße Empfängerinnen und Empfänger von vorgefertigten Inhalten. Gegenseitiges Misstrauen machte das Verhältnis zwischen Politik, Journalismus und Öffentlichkeit schwierig, in Kommentarspalten und im Social Web kochte die Stimmung emotional hoch.

Gefragt ist in dieser Situation nicht nur ein besonnener Bundespräsident, sondern auch ein verantwortungsvoller Journalismus, der krisenhafte Ereignisse – die oft auch kommunikative Krisen sind – verständigungsorientiert thematisiert. Grundlegend in der zwischenmenschlichen Kommunikation, aber eben auch im massenmedialen Diskurs, ist, wie miteinander umgegangen wird, denn wir Menschen sind auf kommunikative Beziehungen zu anderen angewiesen. Im Zentrum steht deshalb die Frage, ob und wie die Menschen, mit denen wir sprechen beziehungsweise über die wir sprechen, anerkannt und akzeptiert werden. "Anerkennung" wird dabei zum Schlüsselbegriff, denn wird das jeweilige Gegenüber (tatsächlich) anerkannt, wird einer Manipulation des Gegenübers für eigene Zwecke der Boden entzogen.

Anerkennung als sozialphilosophisches Konzept

Im alltagssprachlichen Gebrauch wird der Begriff Anerkennung oft gleichbedeutend mit Begriffen wie "Würdigung", "Lob", "Achtung" oder "Respekt" verwendet, es geht dabei oft um unterschiedliche Leistungen, die Menschen als Teil unserer Gesellschaft erbringen. Der Duden verweist zudem auf eine juristische Bedeutung von Anerkennung als "Bestätigung, Erklärung der Gültigkeit, der Rechtmäßigkeit".

Kurz bei einer Pressekonferenz. Bei diesen sind Fragen oft unerwünscht.
Foto: Christian Fischer/derstandard.at

Im sozialphilosophischen Konzept von Anerkennung geht es aber um viel mehr. Das Konzept der Anerkennung verfolgt – so der Sozialphilosoph Axel Honneth – das Ziel, dass durch soziale, also gesellschaftliche Inklusion alle Individuen als Teil der Gesellschaft gleichwertig behandelt werden. Durch den Prozess der Anerkennung werden sie "in den Kreis vollwertige[r] Gesellschaftsmitglieder" integriert, Anerkennung ist demnach ein kommunikativer Akt, der sowohl auf individueller als auch auf öffentlicher Ebene stattfindet – ein Akt, auf den Mitglieder unserer Gesellschaft angewiesen sind, um sozial existieren zu können. Anerkennung im sozialphilosophischen Sinne erfolgt in der Justiz über das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, im gesellschaftlichen Bereich ist es gegenseitige Solidarität und im sozialen Bereich die (Nächsten-)Liebe, welche soziale Integration ermöglicht.

Anerkennung ist freilich keine Einbahnstraße. Wechselseitige Anerkennung kann nur stattfinden, wenn Individuen bereit sind, andere als gleichberechtigte Gegenüber zu begreifen. Für den französischen Philosophen Paul Ricœur ist wechselseitige Anerkennung demnach eine Art von gesellschaftlichem "Friedenszustand" – ein Weg, der im Sinne sozialer Integration beschritten werden muss. Bedingung dafür ist auch, dass sich Menschen zunächst selbst "erkennen", also sich in ihrer Individualität als Teil der Gesellschaft wahrnehmen (können).

Journalismus als Pionier im Anerkennungsprozess

Was hat Journalismus damit nun zu tun? Journalismus kann keine Anerkennung im intersubjektiven Prozess bewirken, kann aber Anerkennung fördern und anstoßen, indem er die Diversität von Mitgliedern der Gesellschaft, ihre Lebensrealitäten und Problemlagen umfangreich und respektvoll abbildet. So können sich Personen mit unterschiedlichen Erfahrungen und Zugehörigkeiten in ihrer Individualität ernst genommen fühlen, sich in der Berichterstattung wieder-"erkennen". Dieses "Erkennen" geht jedem "Anerkennen" voraus. Indem Journalistinnen und Journalisten einen respektvollen Umgang etablieren, bilden sie zudem ein Fundament für gegenseitige Anerkennung.

Gescheiterte oder missachtete Anerkennung – sogenannte Anerkennungsvergessenheit – kann in der Berichterstattung bei Begriffen wie "Flüchtlingswelle" oder "Homoehe" beobachtet werden: Menschen und Gruppen werden "verdinglicht" und als gesichtslose Objekte oder Phänomene behandelt. Die anzuerkennenden Menschen treten in den Hintergrund, eine differenzierte Sichtweise auf Individuen geht dabei verloren – mit potenziell dramatischen Folgen für ihre soziale Existenz.

Anerkennung ist mehr als Posten, Sharen und Liken im Social Web

Wenn von wechselseitiger Wahrnehmung die Rede ist, liegt der Gedanke an das Social Web nahe, wo unmittelbare Interaktion die Regel ist und journalistische wie private Inhalte öffentlich debattiert werden. Doch wo soziale Wertschätzung durch eine Zahl von Comments, Shares oder Likes ausgedrückt wird, da wird sie messbar und oft quantifiziert – was dem Kerngedanken von Anerkennung zuwiderläuft. Und: Mit Blick auf die letzten Jahre haben diese (potenziell) dialogischen Formen von Kommunikation Anerkennungsprozesse nicht zwingend unterstützt, sondern vielmehr eigene Formen der Missachtung wie zum Beispiel Hate-Speech oder die Umtriebe von Trollen hervorgebracht.

Ob im Social Web oder im massenmedialen Diskurs: Durch implizite und auch explizite Abwertung anderer entstehen Wut und Aggression – um eine menschenfeindliche Abwärtsspirale zu verhindern, bedarf es eines Kommunikationsstils, für den gegenseitige Anerkennung selbstverständlich ist. Ohne gegenseitige Anerkennung wird öffentliche (und auch private) Kommunikation zu einem Spiel von Angriff und Verteidigung. Zu einem Spiel, bei dem es nur Verliererinnen und Verlierer gibt. (Petra Herczeg, Andreas Riedl, 1.7.2019)