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Joe Biden ist in seiner Karriere für viel Richtiges eingetreten. Will er gegen Trump überzeugen, müsste er aber auch fähig sein, zu seinen Fehlern zu stehen.

Foto: Reuters / Mike Segar

Ein Blick auf die Umfragewerte genügt, um zu wissen: Joe Biden ist die beste Chance der Demokraten, bei den Wahlen 2020 das Weiße Haus zurückzuerobern. Rund neun Prozentpunkte Vorsprung auf Amtsinhaber Donald Trump weisen ihm Umfragen derzeit aus. Keine der innerparteilichen Alternativen kann einen nur annähernd so großen Vorsprung bieten – auch wenn die meisten Trump besiegen würden. Der frühere Vize Barack Obamas ist daher der wahrscheinlichste Präsidentschaftskandidat der Demokraten – ihn nun zu beschädigen ist also riskant. Im Extremfall könnte es dem Amtsinhaber Munition bringen und ihm zur Wiederwahl verhelfen.

Ist es daher also unverantwortlich, wenn Bidens Konkurrentin Kamala Harris ihn nun in einer TV-Diskussion in die Nähe rassistischen Denkens gestellt hat? Womöglich – aber recht hat sie trotzdem.

Guter Kontakt zu Anhängern der Rassentrennung

Wenn Biden damit wirbt, lange guten Kontakt zu Anhängern der Rassentrennung in den USA aufrechterhalten zu haben, dann kann das nur zwei Dinge bedeuten: Entweder er erkennt nicht, wieso das ein Problem ist. Diesen Eindruck erweckte der 76-Jährige im Lauf der Debatte – immerhin, so betont er, sei er stets aufseiten der Bürgerrechtsbewegung gestanden. Dann wäre es aber immer noch gerechtfertigt, ihn darauf hinzuweisen, dass es nicht geht, zugleich gegen Rassismus aufzutreten und mit guten Kontakten zu Rassisten zu werben.

Oder Biden buhlt bewusst um die Stimmen jener, die in der Rassentrennung kein Problem sehen, anstatt sie als Politiker, spät, aber doch, vom Gegenteil zu überzeugen. Auch das wäre zu verurteilen. In jedem Fall ist es nicht Harris, die durch ihre Kritik Biden in die Nähe rassistischen Gedankenguts stellt, sondern er selbst durch seine Kommentare.

Bidens fragwürdige Ausrede

Und ohnehin steht Biden auf unsicherem Grund, wenn er behauptet, stets gegen Diskriminierung aufgetreten zu sein. Zwar ist richtig, dass er im Laufe seiner Karriere viele liberale Positionen vertreten hat. Wenn er nun aber sagt, in den 1970ern nur aus formellen Überlegungen gegen das Aufbrechen "weißer Schulen" durch Bustransporte aus schwarzen Wohngegenden aufgestanden zu sein, dann widerspricht er zahlreichen eigenen Zitaten aus dieser Zeit. Dass Biden glaubt, mit dieser Ausrede durchzukommen, stellt seine Kampagnenfähigkeit infrage.

Es ist richtig: Die Zeiten haben sich geändert. Auch Joe Biden ist ein Produkt seiner Zeit, und es ist ihm zuzugestehen, dass er seither für viel Gutes eingestanden ist und dass sich seine Einstellungen seit dem Beginn der Karriere verändert haben. Es wäre ihm sogar hoch anzurechnen, könnte er nun sagen: Ja, ich habe das damals behauptet – aber es ist 50 Jahre her, ich habe seither dazugelernt, und ich weiß nun: Das war falsch.

Schatten über seiner Kandidatur

So ist es aber nicht, Biden streitet ab. Das lässt nicht nur Zweifel daran aufkommen, dass er als US-Präsident wirklich mit gleicher Verve die Rechte aller US-Amerikanerinnen und US-Amerikaner vertreten könnte. Es wirft auch einen Schatten über seine Kandidatur. Denn selbst wenn es gelingt, Trump damit zu besiegen, dessen eigene dumpfe Parolen abzukupfern, wäre damit allein noch wenig gewonnen. Die Demokraten hätten dann zwar einen Präsidenten – aber keinen, der die Werte ihrer Wählerinnen und Wähler vertritt. (Manuel Escher, 28.6.2019)