Paris – Um 18 Uhr ist der Verkehr in der Rue du Louvre sehr dicht. Die Dame im weißen Gucci-T-Shirt und mit Ohrenstöpseln schlängelt sich aber mit ihrem Elektroroller geschickt am Bordstein entlang. Das Rotlicht überfährt sie nonchalant, den bremsenden Wagen zu ihrer Rechten würdigt sie keines Blickes.

Wir schreiben das Jahr 2019, und die Seine-Metropole erlebt gerade eine Invasion. Nicht Heuschrecken fallen über sie her, sondern eine Unmenge oranger, neongrüner und rosa Flitzer. Deren 20.000 seien es mittlerweile, schätzt die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo. Und in einem Jahr sollen es schon doppelt so viele sein, also 40.000. Die Invasion wird zur Epidemie.

Erste Scooter vor einem Jahr

Die ersten Dinger mit den zwei Rädchen waren in Paris im Sommer 2018 aufgetaucht, vermietet von der Firma Lime. Start-ups mit Namen wie Bird, Bolt, Wind, Flash, Voi oder Dott haben sich dazugesellt. "Es ist ganz einfach", meint Cyril, der sich gerade bei Les Halles einen an einer Wand gelehnten Roller schnappt.

Der junge Bartträger ist der Schnellbahn entstiegen, wo er eine Applikation auf sein Handy heruntergeladen und die Bankverbindung angegeben hatte. "Die Miete beträgt einen Euro, die Fahrt kostet 15 Cent die Minute. Wirklich nicht teuer", freut sich der Firmenberater.

Mit Vollgas unterwegs

Deshalb fahren viele Rollerbenützer mit Vollgas: Der Taxameter läuft. Unfälle sind in Paris an der Tagesordnung; vor ein paar Wochen gab es den ersten Toten: Ein Rollerfahrer hatte einen von rechts kommenden Lieferwagen übersehen. Laut Umfragen hatten schon 24 Prozent der Pariserinnen und Pariser einen (Fast-)Zusammenstoß mit einem E-Trottinette.

Wer im Selbstversuch durch die Pariser City kurvt, spürt den Groll der Fußgänger. Vor allem wenn man sie von hinten leise surrend überholt, erntet man schiefe Blicke. Das Faustrecht ist nicht weit: In der autofreien Rue Berger weichen Fußgänger dem Rollerfahrer aus, der selbst einem nahenden Vélo des städtischen Vélib-Verleihs Platz macht. Alles auf engstem Raum.

Bürgermeisterin gegen "Anarchie"

Jetzt aber verspricht Bürgermeisterin Hidalgo, sie wolle "mit der Anarchie aufräumen". Das Abstellen der Roller auf den Gehsteigen wird noch in diesem Sommer verboten. Die Buße von 35 Euro haben die Verleiher zu entrichten. Die Geschwindigkeit wird von 25 auf 20 km/h beschränkt, in Fußgängerzonen auf acht km/h.

Auch müssen sie eine Benimmcharta unterzeichnen. Das Start-up Dott wendet sich in einer Kampagne frontal an die "Haters", also die, die die E-Roller hassen. "Wir rufen die Rollerbenützer zu einem verantwortungsvollen Verhalten auf."

Juicer unterwegs

Verantwortungsvoll? In der Rue Saint-Honoré prescht um 20 Uhr ein seltsames Gefährt vorbei: Ein junger Fahrer fährt auf vier Rollern, von denen drei sternförmig über den untersten gelegt sind. Kein Spinner, sondern ein Juicer, der die Stahlesel mit leerer Batterie einsammelt. In der engen Straße zum Anhalten gezwungen, hält der Jugendliche Ausschau nach anderen Rollern.

Er erhalte für jeden gebrachten Roller sechs Euro, erzählt er. So sind in Paris neuerdings die ganze Nacht über hunderte junge Männern und dutzende Lieferwagen unterwegs, um leere E-Roller einzusammeln. Sehr ökologisch ist das nicht. Auch halten die in China gefertigten Roller nur drei Monate, dann landen sie auf dem Schrottplatz – dem Schrottplatz der neuen Mobilität. (Stefan Brändle aus Paris, 30.6.2019)