Der Innenraum des Belvedere 21 wurde mithilfe von 112 Aluminiumplatten in ein von Stacheldraht gekröntes Gefängnis verwandelt: "Hy$teria" prangt auf seiner Vorderseite.

Foto: Jens Ziehe, © Monica Bonvicini and Bildrecht Vienna

Die Mitte des Raumes ist leer. Eine Mauer aus 112 Aluminiumplatten hat Monica Bonvicini rund um das Innere des großen Ausstellungsraumes des Belvedere 21 gezogen, gekrönt von dicken Rollen aus Stacheldraht. Sowohl der Draht als auch das Aluminium glänzen nigelnagelneu. Betreten kann man Bonvicinis Gefängnisarchitektur nicht. Dafür allerdings ausgiebig sinnieren, warum die Künstlerin ausgerechnet den offensten und lichtdurchflutetsten Wiener Ausstellungsraum in eine abweisende Trutzburg verwandelt hat.

"Institutionskritik" nennt sich jener Zweig des Konzeptionalismus, bei dem Systeme und Häuser der Kunstwelt auf ihre impliziten Voraussetzungen abgeklopft werden. Die lange an der Wiener Akademie lehrende und jetzt in Berlin lebende venezianische Künstlerin Monica Bonvicini hat sich in den vergangenen 25 Jahren immer wieder mit sexistischen und rassistischen Zuschreibungen von Architektur beschäftigt und damit eine ganze Generation an Studierenden beeinflusst. Als sie eingeladen wurde, das Belvedere 21, also den ehemaligen österreichischen Pavillon zur Brüsseler Expo im Jahre 1958, zu bespielen, wurde ihr gesagt, dass männliche Künstler bei Rauminterventionen durch die Bank nach oben bauten. Also ging Bonvicini in die Breite.

Zwiesprache mit Architektur

Nur einige wenige Kunstwerke der Künstlerin befinden sich abseits des riesigen Aluminiumkubus in der ebenerdigen Ausstellungshalle, und auch sie halten teilweise Zwiesprache mit dem von Architekt Karl Schwanzer entworfenen Pavillon. Statt mit Matratzen hat Bonvicini ein Etagenbett mit drei Spiegeln ausgelegt, durchstoßen von einem einzelnen Ledergürtel. Die Spiegel verlängern den Boden des Raums ins Unendliche. Double Trouble, so der Name des Kunstwerks, erzählt aber nicht nur vom Wechselspiel von Kunst und Architektur, sondern weist sehr direkt auf jene politischen Themen hin, die Bonvicini in ihrer Schau umtreiben. Etagenbetten gehören zur Grundausstattung von Flüchtlingslagern und anderen Transitorten. Statt Ruhe und ein Mindestmaß an Intimität bietet Bonvicinis Stockbett nur abweisende Kälte an.

Die Migrationsbewegungen von 2015 sind natürlich auch für den 1600 Kubikmeter umschließenden Kubus Referenz. Ein auf die Wand gedruckter riesiger Marlboro Man, dieses Sinnbild von unbegrenzter Freiheit aber auch von toxischer Männlichkeit, lässt unweigerlich an Trump und die von Mauern und Grenzen zersetzten Mythen des heutigen Amerika denken. I cannot hide my anger nennt Bonvicini sowohl ihre Ausstellung als auch ihre Hauptinstallation, und dieser Zorn durchweht die gesamte Schau.

Neue Grenzziehungen

Es sind die großen Themen der Zeit, die neuen Grenzziehungen und die alten Geschlechterstereotype, aber auch der Klimawandel und der von Geld dominierte Kunstmarkt, die Bonvicini mit dem Furor der Empörten anreißt. Dass sie in der künstlerischen Umsetzung metallisch kühl und analytisch kalt bleibt, macht die Qualität der Ausstellung aus. Die Offenheit von Schwanzers Stahlkonstruktion wird schmerzhaft begrenzt, der Besucher ausgegrenzt. Aus einem Raum der Inklusion macht die mit dem Goldenen-Biennale-Löwen ausgezeichnete italienische Künstlerin einen der Exklusion.

"Hysteria" steht in großen Lettern auf der Vorderseite des Aluminiumgefängnisses, wobei der Buchstabe s aus dem Dollarzeichen besteht. Das Wort gibt die Stimmung vor, die Bonvicini mit ihrer Ausstellung aufgreift und gegen die sie sich wendet.

Mit rationalen Argumenten sind viele Grenzziehungen kaum zu erklären, und auch die Mechanismen des Kunstmarkts haben meist mehr mit Hysterie als mit Begeisterung für die Sache zu tun. "Instagramkunst" ist das Synonym für schnell zu konsumierende, gefällige Kunstwerke. Am besten macht man gleich ein Selfie mit ihnen. Dem widersetzt sich Monica Bonvicinis Aluminiumkubus. Er spiegelt den Betrachter nur als graue, schemenhafte Figur wider. (Stephan Hilpold, 1.7.2019)