Wenn Sie in einer bilingualen oder mehrsprachigen Familie aufgewachsen oder Elternteil bilingualer Kinder sind, werden Sie diese Herausforderungen bestimmt kennen und das eine oder andere Mal darüber geschmunzelt haben.

Der bilinguale Spracherwerb ist eine große Bereicherung, darüber sind sich Sprachforscher einig. Kinder erwerben zwei Sprachen auf Muttersprachenniveau – wer will das nicht können? Viele Kinder und deren Familien werden in den Sommerferien die Gelegenheit haben, im Land der anderen Sprache die Sprachkenntnisse aufzufrischen und zu verbessern, sei es mit den Großeltern, mit der Großfamilie oder einfach im Urlaub. Aber manchmal haben Pädagogen und Eltern Angst, wie es dann nach den langen Sommerferien mit dem Deutsch in der Schule weitergehen wird. Wer mehrsprachig aufgewachsen ist, wird folgende oder ähnliche Situationen bestimmt kennen.

Experte in allen Sprachen, immer und überall

"Sag doch was auf …!" – kennen Sie diese Frage? Wenn die Leute merken, dass Sie mehr als nur Deutsch können, müssen Sie erst einmal zeigen, was Sie draufhaben. Meistens weiß man nicht, was man sagen soll, und Kinder sind in so einer Situation sowieso überfordert und sagen erstmal nichts. Auf Knopfdruck loszusprechen ist nun mal jenseits jeder natürlichen Kommunikation. Wenn ich gefragt werde, sage ich meist den Satz "Ich habe keine Ahnung, was ich dir sagen soll" in der gewünschten Sprache. Und meine Kinder versuche ich vor solchen seltsamen Tests zu schützen. "Ich versichere Ihnen, meine Kinder können XYZ sprechen. Aber nicht nach Aufforderung." Dafür ernte ich immer dankbare Kinderblicke.

Manche Situationen gehen mehrsprachigen Personen auf die Nerven.
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Auf der Zungenspitze

Sie wollen etwas sagen, und plötzlich fehlt Ihnen das richtige Wort in der Sprache, in der Sie es gerade brauchen. Es liegt Ihnen förmlich auf der Zungenspitze, und dann taucht es womöglich in allen anderen Sprachen auf, die Sie sonst noch können. Dann, ganz im Sinne mehrsprachiger Menschen, probiere ich eine der anderen Sprachen aus, mein Gegenüber versteht es ja vielleicht. Nach einiger Zeit fällt mir das fehlende Wort ein, und ich sage mitten beim Autofahren zum Beispiel Schraubenschlüssel auf Bulgarisch – zur Verwunderung meiner Kinder.

Die schweigenden Worte

Manchmal fällt mir ein bestimmter Ausdruck gar nicht ein, in keiner Sprache. Ich weiß genau, was ich ausdrücken will, aber der konkrete Begriff schweigt in den Tiefen meiner Sprachzentren. Als eine vielsprachige Person fühle ich mich dann von meinen Sprachen im Stich gelassen. Aber auch das kommt bei bilingualen Menschen manchmal vor – ein polyglottes Blackout.

Keine Sprache ist die richtige

Einer meiner Kollegen ist Italiener, mit seiner Familie spricht er Friaulisch, im Privaten vor allem Spanisch. Italienisch bezeichnet er als seine Muttersprache, und auch Deutsch spricht er sehr gut. Neulich erzählte er mir, dass, wenn er mit seiner Mutter Friaulisch spricht, er manchmal unsicher ist, ob das, was er gerade gesagt hat, nicht doch Spanisch war. Wie kann das sein? Jede Sprache hat zwar ihr eigenes System im Gehirn, trotzdem funktionieren die Sprachen im Verbund, stehen untereinander in stetem Austausch, weil sich auch die ihnen zugrunde liegenden Sprachkompetenzen beständig kreuzen. Vor allem wenn eine unserer Sprachen große Wachstumssprünge macht, kann eine andere unserer Sprachen ins Wanken kommen – selbst eine Sprache, mit der wir aufgewachsen sind. Das kann vor allem für Kinder sehr verunsichernd wirken. Aber keine Angst, wenn man seine Sprachkenntnisse regelmäßig nutzt, vergisst man keine davon.

Eine andere Persönlichkeit

Eine Zeitlang habe ich mir ein Büro mit einer Kollegin geteilt, die bilingual mit Deutsch und Kroatisch aufgewachsen ist. Sie war eine toughe, resolute junge Frau, mit fester und etwas tiefer Stimme. Wenn sie aber Kroatisch sprach, kam sie mir wie ein anderer Mensch vor, als ob sie ihre Persönlichkeit wechseln würde. Ihre Stimmlage veränderte sich, die ganze Art des Sprechens, die Stimme wurde höher, und das Kroatische floss aus ihrem Mund süß wie Honig. Es wohnt jeder Sprache eine Mentalität inne und eine andere Sprachgewohnheit, geprägt von Gesellschaft, Familie und den eigenen Erfahrungen. Wir Mehrsprachigen wirken dann, als ob wir mehrere Persönlichkeiten hätten, die je nach Sprachanwendung wechseln. Ganz so ist es nicht, aber wissenschaftliche Studien belegen, dass wir unser Verhalten verändern, je nach Sprache.

Upps, falsche Sprache gewählt

Meiner Mutter passiert es manchmal, dass sie mit meiner Schwägerin Spanisch spricht, obwohl diese es nicht versteht, und mit meinem Mann Bulgarisch, das auch nicht seine Stärke ist. Beide nehmen es gelassen, vielleicht lernen sie auch etwas dabei. Aber kennen Sie das nicht auch? Nicht immer switcht man mit dem Gesprächspartner in die "richtige" Sprache. Große verdutze Augen schauen einen an. Passiert mir auch manchmal, ich leite ein Seminar auf Englisch und ich ertappe mich dabei, wie ich auf Spanisch ansetze. Wir sind nun mal keine Computer.

Witze und ihre Unübersetzbarkeit

Manchmal gibt es diese eine Situation, zu der einem sofort der passende Witz einfällt, nur blöd, dass er ausschließlich in einer anderen Sprache funktioniert. Und Sie wissen genau, würden Sie den Witz übersetzen, würde wahrscheinlich keiner lachen. Und Wortspiele sind fast nie übertragbar, und Humor ist nun mal sehr abhängig von der jeweiligen Kultur und Gesellschaft. Obwohl man sagt, Lachen ist die Sprache, die jeder versteht, ist es mit dem Humor ganz und gar nicht so. Meist ist er kaum zu übersetzen.

Die Erkenntnis der Reise

Vor vielen Jahren bin ich mit meinen Eltern und sehr jungen Bruder nach Bulgarien geflogen, in das Herkunftsland unserer Familie. Als wir aus dem Flugzeug steigen und durch die Schalterhalle gehen, ruft mein kleiner Bruder auf einmal mit lauter Stimme und zur großen Erheiterung aller um uns Stehenden: "Mama, Mama, hier sprechen ja alle unsere Sprache!" Zu seiner großen Überraschung stellt er fest, dass Bulgarisch nicht, wie er bisher angenommen hatte, eine auf vier Personen beschränkte Familiensprache ist, sondern andernorts von jedem gesprochen wird.

Es ist ein lebenslanges Projekt

Ich bin mit drei Sprachen aufgewachsen, weitere drei habe ich als Fremdsprachen gelernt. Ich liebe Sprachen und lerne sie gerne. Und ich gebe sie gerne an meine Kinder weiter. Ich tue es nicht aus einer rationalen Intention heraus, sondern weil ich fühle, dass es richtig ist und gut, und ich beobachte mit Begeisterung ihre sprachlichen Fortschritte. Was ich dabei erkannt habe: In jeder Sprache kann man ein gutes Niveau erreichen, ein exzellentes sogar, aber es wird immer neue sprachliche Bereiche geben, die man noch nicht erobert hat. Ich habe mich deshalb seit langem vom Anspruch der Perfektion distanziert, strebe eher an, das, was ich mir sprachlich erarbeite oder an meine Kinder weitergebe, so gut wie möglich zu tun. Eine Sprache kann man nie zur Gänze ausschöpfen, und gleichzeitig ist das für mich die Faszination am Sprachenlernen. Es geht immer weiter, es ist eine unendliche Entdeckungsreise, auf der ich, auch in Begleitung meiner Kinder, sehr viel Erfüllung finde. (Zwetelina Ortega, 4.7.2019)