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Das Clubleben in Wien gilt als ein entscheidender Tourismus- und Wirtschaftsfaktor. Leider ist damit Lärmentwicklung verbunden.

Foto: Getty / Moment RF / Vyacheslav Argenberg

Nicht einmal ein halbes Jahr war das Sub, ein kleiner, beliebter Kellerclub in Wien-Margareten, geöffnet, dann reichte es der Hausverwaltung. Drei- bis viermal pro Nacht rief vor allem ein Nachbar die Polizei. "Oft reicht es, dass eine Partei gegen das Lokal ist, um uns Betreiberinnen und Betreibern massive Probleme zu bereiten", sagt David Fox, einer der Sub-Chefs. Zusammen mit seinem Geschäftspartner hatte er zuvor ungefähr 70.000 Euro in das Lokal gesteckt.

Eine Geschichte, wie sie Wiener Clubbetreiber und Veranstalter traditionell nur zu gut kennen. Da eine Betriebsanlagengenehmigung, dort ein Notausgang, der um wenige Zentimeter verbreitert werden muss. Im Rahmen des Gesetzes zu bleiben erfordert hohe Investitionen, die vor allem nicht kommerziell ausgerichteten Veranstaltern schnell das Genick brechen können.

Doch egal, wie unterschiedlich die Ausrichtung, die Dauer oder der Ort der Veranstaltungen sind – viele der Herausforderungen, die Clubbesitzern, Veranstaltern und Lokalbetreibern begegnen, ähneln sich. Zunehmend zeigt man sich wegen der Vielzahl an Bestimmungen, bürokratischen Hürden und – wie viele Szenekundige erzählen – der Willkür und Ignoranz der zuständigen Magistrate verärgert.

Problembewusstsein

In anderen Städten ist man sich solcher Probleme längst bewusst. Um den Herausforderungen der Nacht beizukommen, setzen einige Städte auf einen sogenannten Nachtbürgermeister oder einen Nachtstadtsenat. Die wichtigste Aufgabe dieser Servicestellen – egal wie sie heißen – ist es, zwischen den Veranstaltern und den Anrainern, zwischen Politik, Verwaltung und Wirtschaft zu vermitteln.

Unterschiedliche Städte wie Mannheim, New York, Budapest, Zürich oder Paris haben mittlerweile Verantwortliche gefunden, die die Nacht managen. In vielen Fällen zeigen die von ihnen ergriffenen Initiativen Erfolg: Veranstalter wissen besser über ihre Rechte und Pflichten Bescheid, erhalten Hilfe bei den Amtswegen und werden in manchen Fällen finanziell unterstützt.

In Amsterdam, wo das Konzept 2012 erfunden wurde, wurden sogar 24-Stunden-Lizenzen für einige Clubs eingeführt, die Sperrstunde damit de facto abgeschafft. Was radikal klingt, führt dazu, dass nicht alle Besucher gleichzeitig einen Ort verlassen. So kommt es zu weniger Lärmbelästigung.

Auch in Wien wird der Ruf nach einer Servicestelle lauter. Viele Einzelpersonen aus der freien Szene, Clubbetreiber und auch die IG Kultur Wien arbeiten seit Jahren parallel und zuletzt auch vermehrt miteinander an Lösungen.

Stadtplanung ist gefordert

Am öffentlichkeitswirksamsten fordern Martina Brunner und Laurent Koepp, die vor zwei Jahren ihre Initiative N8BM gestartet haben, eine Nachtbürgermeister-Servicestelle ein. Unterschriften für ihre Petition "Ja zur Initiative Nachtbürgermeister Wien" an Bürgermeister Ludwig, der sich bis jetzt wenig begeistert gezeigt hat, werden gerade gesammelt.

Punkte, die Brunner gern beackert sehen würde, sind neben der Einrichtung eines One-Stop-Shops für Veranstalter unter anderem die unbürokratische Nutzung von Freiflächen (z. B. für Open Airs), die Ausweitung der Sperrstunde (siehe Amsterdam) und die Umsetzung des Agent-of-Change-Prinzips: Es besagt, dass bereits bestehende Clubs bei stadtplanerischen Entscheidungen mitbedacht und Neubauten so geplant werden, dass sie vom Lärm gut abgeschirmt sind. Hinzuziehende werden vorab informiert, die Verantwortung wird so verlagert.

Städte wie London wenden dieses Prinzip nicht nur aus Spaß an der nächtlichen Party an, sondern weil Clubs fördernswerte Kulturräume sind. Auch der wirtschaftliche Effekt ist enorm: Jeder vierte Berlin-Tourist gibt an, die deutsche Hauptstadt wegen ihrer Clubkultur zu besuchen.

Potenzial der Nachtwirtschaft

Auch die Wirtschaftskammer Wien hat dieses Potenzial erkannt und eine Erhebung zur Lage der Wiener Nachtwirtschaft in Auftrag gegeben. Die Studie ist seit Monaten fertiggestellt, die Veröffentlichung der vollständigen Daten wird, sehr zum Ärger der Szene, der Grünen und der Neos, noch immer hinausgezögert.

Häppchenweise gerieten einige Ergebnisse der Studie doch an die Öffentlichkeit – und das Tauziehen um deren Deutung begann. Auf Nachfrage beim Referat Wirtschaftspolitik heißt es, dass die Studie sich beim Thema Nachtbürgermeister nicht festlegen würde. Dies sei eine politische Entscheidung.

Wenige Tage später veröffentlichte die Wirtschaftskammer die 23 Folien lange Studie (laut KMU Austria, die die Studie durchgeführt hat, handelt es sich um eine Kurzfassung), die allerdings mehr Fragen als Antworten aufwirft. Einen Nachtbürgermeister zu schaffen sei nicht ratsam, heißt es dort sinngemäß. Wie dieser Schluss aus den erhobenen Daten gezogen wird, wird nicht erläutert.

Der Clubsprecher der Wiener Neos, Markus Ornig, betrachtet die Conclusio als "eindeutig fingiert". Die Ergebnisse würden nach effizienteren Strukturen schreien, aber "Machterhalt ist den Auftraggebern offensichtlich doch wichtiger als ein funktionierendes Nachtleben", so Ornig.

Zentrale Anlaufstelle nötig

Ebenso widerspricht Hans Arsenovic (Grüne Wirtschaft) den Empfehlungen der Studie: "Die Praxis zeigt, dass es eine zentrale Anlaufstelle braucht, die neutral sein muss." Auch die ÖVP Wien spricht sich für einen Nachtbürgermeister aus. Einzig die FPÖ lehnt die Schaffung eines solchen neuen Postens dezidiert ab, in der SPÖ ist man tendenziell dagegen.

Dass die Nachtbürgermeisterei eine Querschnittsmaterie ist, wird besonders deutlich, wenn es darum geht, wer dafür bezahlen soll. Ob man eher von der Kulturabteilung der Stadt Wien eine Förderung erwarten kann oder von der Wirtschaftsagentur, hängt nicht zuletzt von einer ganz grundsätzlichen Frage ab: Für wen soll der Nachtbürgermeister überhaupt zuständig sein?

Soll er vor allem nichtkommerzielle Clubs wie das Sub unterstützen, also Orte, an denen der kulturelle Mehrwert der Veranstaltungen wichtiger ist als die Einnahmen an der Bar? Oder soll der Nachtbürgermeister auch in einer Großraumdisco wie dem Praterdome Präsenz zeigen, in Restaurants, Bars und Würstelständen? Oder geht gar beides – Kultur und Wirtschaft?

Konsens scheint bei allen Stakeholdern, die für den Nachtbürgermeister sind, fast nur über eine Sache zu herrschen: Die zukünftige Stelle soll neutral, also unbehelligt von parteipolitischen Interessen, arbeiten können. (Amira Ben Saoud, Laurin Lorenz, 2.7.2019)