Große Altersrolle: Michelle Pfeiffer in "Wo ist Kyra?".

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Zum Altwerden gehört auch die Erfahrung, dass sich die Abläufe allmählich verlangsamen. Nur wenige Filme zollen dieser Entschleunigung Tribut, dabei vermittelt sich darüber auch ein ungewöhnlicher Wahrnehmungsraum, in dem alles zusammenschrumpft. Wenn Kyra (Michelle Pfeiffer) mit ihrer sehr betagten Mutter auf die Bank muss, braucht dieses Unterfangen beispielsweise beinahe einen halben Tag. Vor dem Schalter scheinen die Bewegungen der Frau wie in Zeitlupe zu erfolgen – und doch lässt es sich diese nicht nehmen, ihre Pension selbst abzuholen. Irgendwie wird jeder Schritt zum trotzigen Lebensbeweis.

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Der Weg zur Bank wird in Where is Kyra? (Wo ist Kyra?), dem vielgerühmten US-Milieudrama von Andrew Dosunmu, zu einem kleinen Suspense-Stück. Denn als Kyras Mutter stirbt, gerät jene aufgrund ihrer Not und eines Verwaltungsfehlers auf die Idee, das Einkommen weiterzubeziehen. Dafür muss sie allerdings auch die Perspektive verändern. Dosunmu spielt den Rollenwechsel wie einen Banküberfall aus, der gleichsam unter verkehrten Bedingungen erfolgt.

Doch für den kleinkriminellen Elan von Kyra, die selbst nicht mehr die Jüngste ist, interessiert sich Where is Kyra? nur als Konsequenz ihrer wachsenden Prekarisierung. Der aus Nigeria stammende Regisseur zeigt mit ungewöhnlichem Nachdruck auf, wie schnell die Armutsfalle zuschnappen kann. Kyra wollte sich nach einer Trennung endlich auf eigene Beine stellen, doch egal wo sie sich nach einem Job erkundigt, immer war schon jemand anderer vor ihr da. Selbst für die "Bullshit-Jobs", von denen es noch am meisten gibt, scheint sie aus Altersgründen nicht qualifiziert.

Kein Trost

Trotz seiner Ausrichtung ist Where is Kyra? nicht der sozialrealistischen Schule zuzurechnen. Statt auf räudige Handkamera und andere Authentifizierungsstrategien setzt Dosunmu, der Musikvideos für Isaac Hayes, Common oder Talib Kweli produziert hat, auf eine Stilisierung, die eher an Genrefilme erinnert. Während Kyras Versuche, Tritt zu fassen, im Nichts verlaufen, verfinstern sich die Einstellungen, auch die Lichtquellen spenden keinen Trost. Oft sind die Bilder auch unscharf oder stark dezentral fokussiert.

Im Zentrum des Films verharrt freilich eine exzellente Michelle Pfeiffer, die der gebeutelten Figur mit ihrem so ausdrucksstarken Gesicht etliche Gefühlsnuancen zwischen Verzweiflung und Widerborstigkeit verleiht. Ihr (und nicht so sehr den Dialogen) ist es zu verdanken, dass Kyra manchmal fast zu verschwinden scheint, aber noch dabei so wirklich ist, dass sie nicht verlorengeht. (Dominik Kamalzadeh, 2.7.2019)