Flieg nicht zu hoch, mein kleiner Freund: Spider-Mans bestens bewährte und regelmäßig im Kino dokumentierte Klebrigkeit bewährt sich auch im Auslandseinsatz in Europa.

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Wem jemals auf der berühmten Rialtobrücke vor den schieren Menschenmassen bange wurde, wird in Spider-Man: Far From Home einsehen müssen, dass es noch schlimmer geht. In den Kanälen von Venedig rumort es, dann bäumt sich das Lagunenwasser zu einem Kreuzfahrtschiffs-hohen Ungetüm auf, das wild um sich schlägt. Stünde in Jon Watts‘ zweitem Teil des Spider-Man-Reboots von 2017 nicht ein grünbehelmter Superheld parat, der gemeinsam mit Peter Parker (aus Eile nur mit Karnevalsmaske getarnt) eingreift, der Schaden wäre verheerend.

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Wir erinnern uns: Schon im ersten Teil der Neuauflage war man auf die durchaus werktreue Jugendlichkeit des Spinnenhelden bedacht. In der Fortsetzung erfolgt die Anbindung an das Teenagersein nun noch ein Stück offensiver, denn Peter Parker begibt sich mit Gleichaltrigen gleichsam auf einen Interrail-Trip. Eine ausgedehnte Ferienreise hin zu europäischen Hauptstädten tut auch deshalb Not, weil im Marvel-Universum alles längst synchron geschieht. Soll heißen, manche Avengers sind auch in diesem Ableger gefallen (anfangs erfolgt ein ironisch-wehmütiger Abgesang), der "Blip" hat auch hier das Zeitkontinuum durcheinander gewirbelt, und wer das Erbe des ikonenhaften Tony Stark antreten darf, muss erst ausbaldowert werden.

Ferienstimmung...

Spider-Man zögert wieder einmal. Bekanntlich ist dieser stets hin- und hergerissen zwischen seiner Berufung und altersgerechten Bedürfnissen, die in diesem Fall dem Mädchen MJ (Shendaya, lakonisch und burschikos) gelten, samt romantischer Vorhaben auf dem Eiffelturm. Wie Spider-Man wieder einmal demonstriert, bezeugt sich die Dominanz des Superheldenfilmes auch in seiner Fähigkeit der Eingemeindung anderer Genres. Watts dockt erfolgreich an der Teenagerkomödie an.

Eine längere Szene ist gleich zu Beginn Platzrochaden im Flugzeug gewidmet, in der geschickt erste Nahverhältnisse und Konkurrenzstellungen unter der Jugend etabliert werden. Für Parker liegt die Crux in erster Hinsicht im Zeitmanagement: Denn immer dann, wenn er einen entscheidenden Schritt Richtung MJ machen könnte, wird er abkommandiert, um nach einem Monster Ausschau zu halten, das in der Gestalt eines der vier Elemente auftritt.

Schon die Verquickung des Teenie-Gefühlsstaus mit der ferienhaften Ausrichtung gen Europa – sie ist auch für einige transkontinentale Scherze gut – verleiht Spider-Man: Far From Home eine sommerlich leichte Anmutung. Der Film ist für jede Zerstreuung zu haben.

Der Brite Tom Holland, der von allen bisherigen Spideys der ungeübteste, aber auch schwungvollste sein darf, verstärkt durch seine quirlige Präsenz noch das Gefühl, dass auf diesem Marvel-Seitenhimmel die Gewitterwolken eher klein gehalten werden sollen. Und wenn sie sich dann doch zusammenbrauen, verweisen sie lieber mit selbstreferenziellem Augenzwinkern auf den eigentlichen Kern des Unterhaltungsgeschäfts, nämlich Menschen mit Illusionen ködern zu wollen.

Wenn Nick Fury (Samuel L. Jackson) und Quentin Beck alias Mysterio (ein äußerst gelungener Neuzugang von Jake Gyllenhaal) Spider-Man für ihre Mission gegen die Elementals gewinnen wollen, haben diese in ihrer Ernsthaftigkeit dann etwas von Spielverderbern an sich.

...in good old Europe

Mit Mysterio erhält eine aus den Comics berühmte Intrigantenfigur seinen ersten Real-Leinwandauftritt, Fans kennen seine Kapazitäten. Aber selbst Eingeweihte erwartet in den besten Momenten eine surreale Tauchfahrt in traumähnliche Abgründe, die nur vor den Grenzen der Fantasie halt macht. Hollywood war schon immer clever darin, sei es im Musical oder in Film-im-Film-Variationen, über Einblicke in die eigene Illusionsmaschine auch die eigene Strahlkraft zu unterstreichen.

In Spider Man: Far From Home vermengen sich exotische Euro-Destinationen (darunter auch ein alpiner österreichischer Holzhüttenzwischenstopp) mit Budenzauber und Gräuelvisionen aus der Dose, und all das wird mit popkulturellen Anspielungen auf die Gegenwart gespickt. Äußeren Erscheinungen ist genauso wenig zu trauen wie jenen, die meinen, diese lenken zu können.

"Heutzutage sind die Menschen bereit, alles zu glauben", lautet einer der Sätze, die Spider-Man einmal zu hören bekommt. Um sich gegen solche Weisheiten zu behaupten, muss der Spinnenmann in diesem unebenen, aber beschwingten Film das Höhlengleichnis gleich doppelt lösen. (Dominik Kamalzadeh, 3.7.2019)