Im Gastkommentar plädiert der habilitierte Historiker Georg Cavallar, nicht in Klima-Panik zu verfallen und das eigene kritische Urteilsvermögen zu kultivieren.

Wenn sogar die Boulevardpresse von Klimakrise ohne Anführungszeichen schreibt, dann ist ganz offensichtlich das Klima zu einem dominanten Thema der Politik und Gesellschaft geworden. Über die Frage, was diesen Meinungswandel bewirkt hat, kann auf hohem Niveau gestritten werden. Waren es Greta Thunberg und die Fridays-for-Future-Demonstrationen? Die Fotos und Filme eines Eisbären auf der Suche nach Futter oder von Schlittenhunden, die über Wasser laufen? Oder war es einfach nur der heiße Juni?

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Das arktische Eis schmilzt. Deshalb wandern Tiere auf der Suche nach Nahrung südwärts. Wie dieser Eisbär, der auf einer russischen Mülldeponie nahe der Stadt Norilsk herumstreunt.
Foto: REUTERS/Yuri Chvanov

Nun häufen sich die schrillen Stimmen. Thunberg machte den Anfang: "Ich will, dass ihr in Panik geratet, dass ihr die Angst spürt, die ich jeden Tag spüre." Die Wochenzeitung "Freitag" titelte bereits im Jänner: "Öko-Diktatur? Ja bitte! Tempolimit, Flugverbot, Kohleausstieg: Hartes Eingreifen rettet den Planeten" (31. 1. 2019). Die Journalistin Kathrin Hartmann meinte dort, man dürfe Arbeitsplätze nicht gegen die Umwelt aufrechnen, denn: "Auf einem toten Planeten gibt es keine Arbeitsplätze."

Hysterie und Mehrheiten

Prompt listete der deutsche Sozialwissenschafter Roland Springer die hohen Kosten einer radikalen Reduzierung des CO2-Ausstoßes allein für Deutschland auf und warnte vor einem apokalyptischen Denken, das zur Hysterie geradezu auffordere und fragwürdige demokratiepolitische Folgen haben könne. "Wo es um Sein oder Nichtsein, um Leben oder Tod geht, machen Mehrheitsentscheide keinen Sinn, sind schlimmstenfalls sogar schädlich" (siehe "Keine Alternative zur Öko-Diktatur?", Tichys Einblick, 31. 5. 2019).

Mit anderen Worten: Vor lauter Klimarettung besteht die Gefahr, dass der demokratische Rechtsstaat auf der Strecke bleibt. Frei nach Friedrich Schiller: "Mehrheit ist der Unsinn. Verstand ist stets bei wenigen nur gewesen." Die (selbsternannten) Klimaretterinnen und -retter wissen, was getan werden muss, um die Katastrophe abzuwenden. Der demokratische Rechtsstaat, der sich am Mehrheitsprinzip orientiert und in erster Linie Verfahren statt Zwecke und Ziele festlegt – der kann hier nur im Weg stehen.

Genau dieser Nachteil des demokratischen Rechtsstaates ist wieder sein massiver Vorteil. Er verhindert nämlich Diktatur und Despotismus (von Einzelnen, Eliten oder auch der Mehrheit).

Schlechter Ratgeber

Daher: einen kühlen Kopf behalten, den eigenen Hausverstand nicht ausschalten, das eigene kritische Urteilsvermögen kultivieren und bitte nicht in Panik verfallen. So meint die Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb: "Panik ist an sich ein schlechter Ratgeber, weil man darauf entweder mit Flucht oder mit Erstarrung reagiert." Auch der Historiker Wolfgang Behringer verweist in "Kulturgeschichte des Klimas. Von der Eiszeit bis zur globalen Erwärmung" auf die teilweise dramatischen Klimaschwankungen der Vergangenheit und plädiert für mehr Gelassenheit. Lethargie und Gleichgültigkeit sollten vermieden werden, Sorge und Angst sind berechtigt.

Zu dieser Gelassenheit gehört beispielsweise, Thunberg nicht zu einer psychisch kranken Aktivistin auf Egotrip abzustempeln. Zum kritischen Urteilen gehört auch einzusehen, dass die eigentlichen "Umweltsünder" die Länder China, USA und Indien sind und ein Land wie Österreich nur einen ganz kleinen Beitrag leisten kann, um einen möglichen Klimakollaps zu verhindern (auch wenn dieser Beitrag besser ist als gar nichts).

Liberalismus und Verbote

Offene Fragen, Probleme und Aufgaben gibt es jedenfalls genug. Etwa die Schwerfälligkeit des demokratischen Rechtsstaats, die die Umsetzung durchaus vernünftiger Maßnahmen verzögert. Und die Aufgabe, eine Balance zwischen der Sicherung von Freiheitsräumen im Sinne des politischen Liberalismus und Eingriffen in Konsumverhalten, Mobilität und Industrie zu finden – Eingriffen, die unsere Lebensgrundlagen erhalten sollen.

Zu den Fragen gehört etwa: Wiegt ein Eingriff in unsere Konsumfreiheit genauso schwer wie ein Eingriff in die persönlichen Freiheitsrechte? Wann passen die Rufe nach mehr Verboten, um das Klima zu schützen, nicht mehr zu einem Staat, der sich als "freiheitlich" bezeichnet? Wie soll die Politik mit jenen Bürgerinnen und Bürgern umgehen, die nicht einsehen, warum sie auf Wohlstand, Freiheiten und Bequemlichkeiten für Klimaziele verzichten sollen, die sie sowieso nicht teilen?

Heiße Zeiten

Was bedeutet "Klimagerechtigkeit"? Die Abschaffung der Privilegien des globalen Nordens (mehr als 80 Prozent der Weltbevölkerung haben noch nie ein Flugzeug bestiegen)? Wie sollen die Verfahren aussehen, die zur Erreichung der Ziele des Pariser Klimaabkommens führen könnten?

Es kommen noch heiße Zeiten auf uns zu, in vielerlei Hinsicht. (Georg Cavallar, 2.7.2019)