Wo Rassismus und Sexismus beginnt – darüber müssen wir im Gespräch bleiben. Die inflationären "Zensur"-Warnungen, die auch regelmäßig von Alice Schwarzer kommen, verhindern dieses Gespräch.

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Tugendterror, Meinungsdiktat, Zensur. Geht es um Rassismus oder Sexismus, sind das inzwischen inflationär gewordene Entgegnungen. Rassistisch? Man will uns wohl das Denken und den Mund verbieten? Das soll sexistisch sein? Was für ein Tugendterror!

Diese Holzhammer-Reaktion konnten wir letzte Woche einmal mehr beobachten. Der Anlass: Am Samstag wurde die Cartoonistin Franziska Becker vom deutschen Journalistinnenbund die Hedwig-Dohm-Urkunde für ihr Lebenswerk überreicht. Und daran gab es Kritik. Diese Kritik kam laut Alice Schwarze das erste Mal, wie die "Emma"-Herausgeberin in einem "Emma"-Artikel meint. Darin reagierte sie auf die negativen Reaktionen auf die Entscheidung, Becker auszuzeichnen. Doch ganz so überraschend ist die Kritik nicht. Es gibt sie schon lange, auch an dem Umgang der deutschen Zeitschrift generell mit Musliminnen, die darin gern pauschal als Marionetten und willfährige Botinnen islamistischer Ideologien dargestellt werden würden – sofern sie ein Kopftuch tragen. Auch in Beckers Cartoons. Solcherart Kritik wurde von Schwarzer oft damit kommentiert, dass sie vorrangig von "Linken" komme, die sich dem aktuell "angesagten Gebetbuch" der Political Correctness unterwerfen würden, wie sie es in ihrem aktuellen Artikel formuliert.

DiktatorInnen-Ambitionen

Der Vorwurf der Zensur, des Meinungsdiktats und dass "man gar nichts mehr sagen" oder "tun dürfe", ist eine alte und verbreitete Ad-hoc-Reaktion auf Vorschläge, wie wir das Leben aller ein Stück weit gerechter gestalten könnten, und auf Einwände, wann wir uns in die entgegengesetzte Richtung bewegen. Doch völlig egal, ob die KritikerInnen von rassistischen Darstellungen – wie im Fall von Beckers Zeichnungen – noch so ausführlich begründen und mit Worten erklären: Es werden ihnen schnell DiktatorInnen-Ambitionen unterstellt.

Die Journalistin Sibel Schick, die als eine der Ersten auf Twitter die Auszeichnung für Becker kritisierte, tat dies differenziert und auf Fakten basierend. Frauen mit Kopftuch werden diskriminiert, eine pauschalisierende und rassistische Darstellung von Frauen mit Kopftuch befördert Rassismus, von dem wiederum koptuchtragende Frauen massiv betroffen sind, so Schick auf Twitter. Schick bezeichnet Beckers Zeichnungen im "Spiegel", wo sie ihre Argumente noch einmal genauer ausführte, nicht pauschal als rassistisch. Sie schreibt vielmehr, einige ihrer Zeichnungen könne man als "Islamismuskritik sehen", sie bediene sich aber als "Karikaturistin nicht selten auch islamfeindlicher Klischees" und weiter: "In vielen dieser Zeichnungen gelingt es ihr nicht, patriarchale Strukturen differenziert darzustellen, ohne zu der Diskriminierung von Frauen mit Kopftuch beizutragen."

Keine Vernebelung, kein Verbot

Eine solche Argumentation als "Vernebelung und Ideologisierung" zu bezeichnen, wie es Schwarzer tut, dies als Position zu diffamieren, die in Wahrheit "Meinungsverbote" und "Zensur" zum Ziel hätte, ist schlichtweg Diskursverweigerung. So kommen wir nicht weiter. (Beate Hausbichler, 3.7.2019)