Als Jean-Claude Juncker vor fünf Jahren sein Amt als Präsident der EU-Kommission angetreten hat, machte er im Europäischen Parlament eine Ansage. Sein Team werde eine "Kommission der letzten Chance" sein. Als Ex-Premier von Luxemburg mit 19 Jahren Regierungserfahrung galt er als die Hoffnungsfigur für eine krisengebeutelte Union.

Der eklatante Wirtschaftseinbruch nach den Finanz- und Wirtschaftskrisen seit 2008 war damals kaum wieder aufgeholt. Griechenland stand – so wie die gesamte Eurozone – auf der Kippe. In den USA regierte mit Präsident Barack Obama ein gemäßigter, verlässlicher Bündnispartner. Der Handel mit China florierte. Mit Russland hingegen begann nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim eine neue Eiszeit – samt Sanktionen. Der Syrienkrieg eskalierte. Eine Migrationswelle kündigte sich leise an.

Jean-Claude Juncker galt als Hoffnungsfigur für eine krisengebeutelte Union.
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Juncker wollte der Gemeinschaft durch interne Stärkung Schwung verleihen, mit einer "politischen Kommission". Gemeint war ein mutiges Kollegium, das die Wirtschafts- und Sozialpolitik beleben wollte, Bildung, Forschung, die Digitalisierung voranzutreiben versprach. Vor allem sollten die EU-Institutionen massiv reformiert werden: effizientere Entscheidungsstrukturen, neuer EU-Vertrag.

Im Jahr 2019 sind ein Blick auf die damalige Ausgangslage und eine Bilanz hilfreich. Es ist gut zu erkennen, was nach der Konstituierung des EU-Parlaments auf das neue Spitzenpersonal in allen Institutionen zukommt, insbesondere die Kommission und ihre Präsidentin. In der Diktion Junckers: "Ihr habt keine Chance, aber nützt sie!"

Denn die "Polykrise" von 2014 ist noch größer geworden. Die kleinlich-dumpfe Zankerei der Regierungschefs bei der Vergabe der Topjobs hat gezeigt, wie riesengroß der Vertrauensverlust inzwischen ist. West- und Osteuropäer sind gespalten in Bezug auf Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, Rechtspopulisten wollen die EU dekonstruieren. Der einstige deutsch-französische Motor stottert unschön. Die Südstaaten fühlen sich in der Eurozone benachteiligt.

Die Gemeinschaft ist geprägt von Lähmung bei anstehenden wichtigen Entscheidungen. Das schlägt naturgemäß nach außen negativ durch: Die EU steht in der Welt schlecht da, was das Verteidigen ihrer Interessen angeht. Die neue Kommission samt Parlament muss sich nicht nur durch viele ungelöste "alte" Krisen kämpfen, die Juncker hinterlässt. Ein Riss mit den USA unter Präsident Donald Trump kommt dazu, ebenso die aggressive Wirtschaftsstrategie Chinas. Der Brexit steht an. Das ergibt zusammen mit dem globalen Hauptproblem unserer Zeit, den Folgen des Klimawandels, eine Herkulesaufgabe. Sie kann nur mit smartem Teamwork aller Entscheidungsträger in der EU und in den Nationalstaaten bewältigt werden.

Die Gemeinschaft kann nur dann wieder besser funktionieren, wenn EU-Kommissare, EU-Abgeordnete, Regierungen und nationale Parlamente eng kooperieren – und nicht konkurrieren. Das zu fördern wird die Hauptaufgabe der "Neuen" sein, von denen einige jedoch eher "alte Hasen" sind als Politiker der neuen Generation.

Sie müssen Europa mit Aufbruch und Demokratie durchfluten, inhaltlich zwei Prioritäten setzen: beim Klimaschutz und in der Sicherheitspolitik in umfassendem Sinne. Und über allem steht eine Herausforderung ganz neuer Qualität: Die EU muss weltpolitikfähig werden. Sonst wird Europa als Ganzes seine Chancen verspielen. (Thomas Mayer, 2.7.2019)