Die eskalierenden Demonstrationen gegen den immer stärker werdenden chinesischen Einfluss auf Hongkong sorgten am 1. Juli international für Schlagzeilen. Rund um die Fahnenzeremonie anlässlich des 22. Jahrestages von Hongkongs Rückgabe an China durch Großbritannien säumten hunderttausende Menschen die Straßen, einige hundert stürmten das Parlament. Artikel und Bilder – etwa vom beschädigten Parlamentsgebäude oder von der gehissten Flagge aus britischen Kolonialzeiten – waren innerhalb kürzester Zeit omnipräsent in sozialen Medien und auf den Titelseiten von Tageszeitungen – in den allermeisten Staaten der Welt. Aber nicht in China.

Freundliche Gesichter bei den Feierlichkeiten der Fahnenzeremonie, kein Bild und kein Wort von den tausenden Protestierenden und der Stürmung des Parlaments.

Denn die chinesische Führung entscheidet, ob, wie viele und welche Details die Bürger erfahren dürfen. Die chinesische Zensur – "The Great Firewall" – ist nichts Neues, die Hongkong-Proteste offenbaren allerdings ein weiteres Mal, wie schnell und effektiv diese Zensur- und Propagandastrategie mittlerweile ist. Bilder von den großteils friedlichen Protesten fanden sich erst dann in chinesischen Medien, als einige der Demonstranten gegenüber der (teils gewalttätig agierenden) Polizei gewalttätig wurden – und der chinesischen Führung damit die Vorlage für ein neues Framing der Proteste lieferten. Die große Mehrheit der Protestierenden bedauerte in Medienberichten, dass die Aktionen einiger dem friedlichen Protest von Millionen Menschen nachhaltig schaden könnten.

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Von chinesischer Staatsseite war indes schnell von "ernst zu nehmenden illegalen Aktionen" und einem "absolut inakzeptablen Vorgehen" die Rede. Die chinesische "Global Times", ein parteinahes Medium, sprach von "aggressiven Angreifern", die "bestimmt alle Hongkonger wütend und traurig" machen würden. Mittlerweile spekulieren Hongkongs Oppositionelle sogar darüber, ob die Polizei den Auftrag hatte, die Demonstranten ins Innere des Parlaments vorzulassen. Vermutetes Ziel: Bildproduktion für die chinesische Propagandamaschinerie, deren Strategie es bisher war, die Proteste komplett zu ignorieren, um ein Aufkeimen ähnlicher Aufstände innerhalb Chinas zu vermeiden.

Der Hintergrund

Begriffe wie Freiheit, Demokratie, Hongkong, Proteste oder Demonstration – etwa geäußert in sozialen Medien oder geschrieben auf Demobanner – schlagen seit langem automatisch in Chinas Zensurstellen an und passieren nur in den seltensten Fällen die Zensur. Wer innerhalb Chinas via Suchmaschine nach Hongkong suchte, erhielt bisher ausschließlich Businessnews, Promigossip und chinesische Propaganda.

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Chinas Volksbefreiungsarmee, hier bei der Fahnenzeremonie in Hongkong, bekommt längst Unterstützung von Computersoldaten.
Foto: REUTERS/Tyrone Siu

Zudem wird die automatische Bilderkennung immer besser: Bestimmte Fotos tauchen in Wechat-Konversationen einfach nicht mehr auf, egal wie oft sie versendet werden. Dennoch passieren vor allem bearbeitete oder teils retuschierte Bilder vereinzelt die Zensur. Dafür müssen die Bilder allerdings stark verändert und in den meisten Fällen um 90 Grad gedreht werden – oft werden sie zusätzlich um falsche und irreführende Schlagwörter ergänzt. Meist sind die Bilder jedoch weg, bevor sie sich viral ausbreiten könnten.

War bei den sogenannten Regenschirmdemos von 2014 noch Instagram das Mittel der Wahl zur Vernetzung (mittlerweile ist es in China verboten), griffen die Protestierenden diesmal auf den verschlüsselten Messengerdienst Telegram zurück. Wenig überraschend ist Telegram immer wieder Ziel großangelegter chinesischer Cyberangriffe.

Sino-britischer Disput

Ob die aktuelle Strategie Chinas im Umgang mit Berichten zu Hongkong eine Trendwende einläutet, ist nicht abzusehen. Klar scheint jedoch, dass sie die chinesisch-britischen Beziehungen nachhaltig irritiert: Auch Chinas Botschafter in London, Liu Xiaoming, bezeichnete es in einer live im Fernsehen übertragenen Pressekonferenz in London als "enttäuschend", wenn hochrangige britische Regierungsvertreter "ihre Unterstützung für Gesetzesbrecher zum Ausdruck bringen". "Neue Einmischungen" Großbritanniens in innerchinesische Angelegenheiten würden den Beziehungen "noch weiter schaden", so Liu in Richtung des britischen Außenministers Jeremy Hunt.

Dieser hatte wenige Tage vorher betont, dass sich Großbritannien die Einhaltung rechtlich bindender Abkommen durch Hongkong erwarte. Ansonsten würden "ernsthafte Konsequenzen" drohen. (Fabian Sommavilla, 5.7.2019)