Rom – Die am Samstag festgenommene Kapitänin des Rettungsschiffes Sea-Watch 3, Carola Rackete, hat die Nacht auf Mittwoch in Freiheit verbracht. Eine Untersuchungsrichterin der sizilianischen Stadt Agrigent, Alessandra Vella, hat am Dienstag den Haftbefehl für die deutsche Kapitänin nicht bestätigt. Die 31-Jährige befand sich seit Samstag unter Hausarrest. Sie solle jetzt aus Italien ausgewiesen werden.

Heldin oder Kriminelle? Nach der Festnahme von Carola Rackete zeigen Demonstrantinnen und Demonstranten vor der Wiener Staatsoper ihre Solidarität mit der Seenotretterin.
DER STANDARD

Rackete habe sich bei der Landung in Lampedusa nicht für das Vergehen des Widerstandes gegen ein Kriegsschiff verantwortlich gemacht, wie die Staatsanwaltschaft behauptet, urteilte die Richterin. Die Kapitänin habe im Rahmen ihrer Pflichten gehandelt und die Migranten nach Lampedusa geführt. Die Untersuchungsrichterin betonte, dass Rackete gezwungen worden sei, Lampedusa anzusteuern, weil die Häfen in Libyen und Tunesien nicht sicher seien.

Der Präfekt der Stadt Agrigent hat bereits einen Ausweisungsbefehl für Rackete unterzeichnet. Allerdings muss der Ausweisungsbefehl erst von den Justizbehörden genehmigt werden. Dies dürfte nicht vor dem 9. Juli erfolgen, verlautete es in Justizkreisen.

Wegen Drohungen abgetaucht

Der Organisation Sea-Watch zufolge ist Rackete dann aus Sicherheitsgründen abgetaucht. "Es gab einige generelle Drohungen gegen Carola", sagte ein Sprecher der Hilfsorganisation Sea-Watch am Mittwoch. "Deshalb haben wir sie an einen geheimen Ort gebracht. Über ihre weiteren Reisepläne werden wir uns nicht äußern."

Die Nacht auf Mittwoch hatte Rackete noch im sizilianischen Agrigent verbracht, in derselben Privatwohnung, in der sie unter Hausarrest gestellt worden war. Am Mittwoch ist ein Treffen zwischen Rackete und ihren Rechtsanwälten geplant. Dabei soll die Verteidigungsstrategie besprochen werden.

Applaudierende Demonstranten

"Unsere Kapitänin ist frei", twitterte die deutsche NGO Sea-Watch Dienstagabend. Viele Menschen, die sich unter dem Haus in Agrigent versammelt hatten, in dem sich Rackete unter Hausarrest befand, applaudierten, als die Nachricht der Freilassung verkündet wurde. Zu Freuderufen kam es auch unter den Dutzenden von Personen, die sich in Palermo an einer Demonstration für die Kapitänin beteiligt hatten. "Wir warten auf Carola hier in Palermo", kommentierte der Bürgermeister der sizilianischen Hauptstadt Leoluca Orlando.

Deutschlandweit hatten sich Demonstranten am Dienstag solidarisch mit der in Italien festgenommenen Rackete gezeigt und für deren Freilassung demonstriert. In Salzburg nutzten rund 50 bis 60 Personen den Staatsbesuch des italienischen Präsidenten Sergio Mattarella und machten sich für die Freilassung der Kapitänin stark. Am Abend gab es in Wien eine weitere Kundgebung.

Salvini empört

Der italienische Innenminister Matteo Salvini reagierte empört auf die Freilassung der Kapitänin. "Ich hatte mit strengen Strafen gerechnet. Offenkundig sind für die italienische Justiz die Missachtung von Gesetzen und ein Angriff auf ein Polizeischiff kein Grund, um hinter Gittern zu landen. Kein Problem: Für die kriminelle Kapitänin ist eine Maßnahme bereit, um sie in ihr Land zurückzuschicken, weil sie für die nationale Sicherheit gefährlich ist", kommentierte Salvini.

"Rackete wird nach Deutschland zurückkehren, wo man mit einer Italienerin, die das Leben deutscher Polizisten in Gefahr bringt, nicht so tolerant wäre", so der italienische Innenminister. "Italien ist stolz, seine Grenzen zu verteidigen. Wir sind anders als andere europäische Politiker, die denken, dass sie Italien wie ihre eigene Kolonie behandeln können", reagierte Salvini.

Lösung gesucht

Menschenleben zu retten sei keine Straftat, sondern ein humanitärer Akt, sagte indes der deutsche Außenminister Heiko Maas. "Ich hoffe, dass die Vorwürfe gegen Frau Rackete nun rasch in den dafür vorgesehenen Verfahren geklärt werden." Der Fall der Sea-Watch 3 mache auf dramatische Weise deutlich, dass eine europäische Lösung für die Verteilung von Migranten innerhalb der EU gebraucht werde. Die stellvertretenden Vorsitzenden der AfD-Bundestagsfraktion, Beatrix von Storch, nannte Rackete eine "Komplizin der Schlepper".

Rackete war am Samstag mit dem Schiff Sea-Watch 3 mit 40 Migranten unerlaubt nach Lampedusa gefahren. Bei der Einfahrt in den Hafen konnte nur knapp ein Zusammenstoß des Rettungsschiffs mit einem Patrouillenboot vermieden werden. Die Kapitänin wurde festgenommen und auf der sizilianischen Insel unter Hausarrest gestellt. Ein neues italienisches Sicherheitsdekret stellt das unerlaubte Einfahren nach Italien unter eine Geldstrafe. Die Sea-Watch 3 wurde beschlagnahmt.

Aus Sicht von Amnesty International Deutschland zeige das Gericht mit seiner Entscheidung, dass das Seerecht dazu verpflichte, Menschen aus Seenot zu retten. Ärzte ohne Grenzen forderte eine sofortige Beendigung der Kriminalisierung und Blockade der zivilen Seenotrettung.

Welle der Solidarität

Racketes Festnahme hatte eine Welle der Solidarität, aber auch Feindseligkeit ausgelöst. "Mich hat die Solidarität, die mir so viele Menschen ausgedrückt haben, berührt", sagte die 31-Jährige am späten Dienstagabend.

Aus der Erklärung des Gerichts gehe hervor, "dass das Recht auf der Seite der Kommandantin war", erklärten Racketes Anwälte. Durch Bezugnahme auf internationale Normen habe die Richterin gezeigt, dass die von Innenminister Salvini angeordnete Schließung der Häfen und das Anlegeverbot illegitim gewesen seien – Entscheidungen, die nach Ansicht der Rechtsbeistände aus "propagandistischen Gründen" getroffen wurden. (APA, Video: Maria von Usslar, 2.7.2019)