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Wieder frei: Seach-Watch-3-Kapitänin Carola Rackete.

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Die Geschichte lässt niemanden kalt. Das Rettungsschiff Sea-Watch 3 sorgt seit vergangener Woche wieder für Schlagzeilen, nachdem es in der Nacht auf Sonntag mit mehr als 40 aus Seenot geretteten Migranten an Bord trotz eines Verbots in den Hafen der sizilianischen Insel Lampedusa eingefahren ist. Die Kapitänin des Schiffs, Carola Rackete, wurde daraufhin verhaftet und unter Hausarrest gestellt. Seit Dienstag ist sie wieder frei.

Hat die Besatzung richtig gehandelt? Über diese Frage läuft seit Tagen eine Debatte, die, wie in Migrationsfragen üblich, von beiden Seiten äußerst emotional geführt wird. Geäußert zu dieser Frage hat sich auch einer der prominentesten Manager Deutschlands, Siemens-Chef Joe Kaeser. Auf Twitter schrieb er am Sonntag: "Menschen, die Leben retten, sollte nicht verhaftet werden." Menschen, die töten, Hass säen und anderen Menschen schaden, hingegen schon. Die klare Positionierung von Kaeser in der Frage sorgte auf Twitter für heftige Debatten.

Aushängeschild Deutschlands

Siemens ist immerhin einer der größten Konzerne Deutschlands: Mit einem Umsatz von 83 Milliarden Euro belegt der Konzern Rang fünf unter den Top-Unternehmen des Landes. Siemens ist aber auch ein internationales Aushängeschild für Deutschland und seine Unternehmen. Spitzenmanager sind in politischen Debatten in der Öffentlichkeit oft zurückhaltend – gerade wenn es um Themen wie Migration geht. Kaeser war der erste und bisher prominenteste Chef eines großen Unternehmens, der sich zur Verhaftung äußerte.

In der "Wirtschaftswoche" ist am Montag ein Text erschienen, in dem Kaeser heftig kritisiert wird. Die Passagen stammen vom prominenten Managementberater und Autor zahlreicher Bücher über Managementfragen, Reinhard Sprenger.

Der streitbare Siemens-Chef Joe Kaeser.
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Im Artikel wird Sprenger danach gefragt, ob er Kaeser vom Tweet abgeraten hätte. Die klare Antwort: "Ja. Ich hätte keine Sekunde gezögert, denn er ist schlecht beraten aus verschiedenen Gründen. Zunächst trägt der Tweet bei zur allgemeinen Moralisierung, die sich in der westlichen Gesellschaft wie ein Spaltpilz ausbreitet. Man stürzt sich auf alles, was sich tribunalisieren lässt. Und die Wirtschaft beugt sich dem auch."

Nur ein Wert, der Kunde?

Im Wirtschaftssystem gebe es nur "einen zentralen Wert", nämlich den Kunden, heißt es weiter. Sich um diesen zu kümmern sei Aufgabe der Unternehmen, alles andere müsse "den Kirchen" überlassen werden.

Für politische Fragen seien Politiker zuständig, Aufgabe von Managern sei es, Geld, das nicht ihnen gehört, zu verwalten, letztlich seien die Firmenchefs ja nur Angestellte der Aktionäre.

Der Beitrag selbst löste eine neue Debatte über die Rolle von Managern in einer demokratischen Gesellschaft aus.

Was ist im Kapitalismus zeitgemäß?

Daraufhin meldete sich Joe Kaeser via Twitter erneut zu Wort.

Und die Debatte wurde noch grundsätzlicher. Kaeser stellte nämlich die Frage, ob "der bedingungslose Shareholder-Kapitalismus noch zeitgemäß ist". Wenn ja, dann wäre der Beitrag des Managementberaters im Ansatz richtig, attestierte er.

Doch das sei eben nicht mehr der Fall: Die Integration der oft konkurrierenden Interessen von Kundern, Mitarbeitern, Kapital und die Inklusion gesellschaftlicher Werte sei die Königsdisziplin heutiger und künftiger Unternehmensführung, so der Siemens-Chef. Daher sei es sehr wohl Aufgabe von Managern, sich politisch zu äußern.

Die Migrationsfrage hat in Österreich bereits zu einer ähnlich gelagerten Debatte geführt – und zwar im Zuge der Abschiebung von Asylwerberlehrlingen. Für die Asylwerber haben sich zahlreiche prominente Unternehmer eingesetzt – auch für dieses Engagement gab es Kritik, besonders von der FPÖ.

Kaeser selbst hat sich immer wieder öffentlich politisch geäußert. So hat er etwa die Frontfrau der rechtsextremen AfD, Alice Weidel, mit den Worten "Lieber Kopftuchmädl als Bund Deutscher Mäderl" scharf kritisiert. (szi, 3.7.2019)

In Wien demonstrierten am Dienstag Hunderte für die Freilassung von Carola Rackete.
DER STANDARD