Tel Aviv – Der Ärger und die Trauer der äthiopischen Demonstranten schlugen am Dienstagabend teilweise in Hass und Zerstörungswut um: Einige Teilnehmer der landesweiten Proteste gegen Diskriminierung und Polizeigewalt warfen Flaschen und Steine, zündeten Reifen an und schlugen auf Autos ein. In Tel Aviv brannte ein Fahrzeug vollkommen aus. Nach Angaben der Polizei retteten Einsatzkräfte den Fahrer des Wagens.

111 Polizisten seien verletzt, 136 Tatverdächtige festgenommen worden. Auslöser der Proteste, die am Montag begannen, ist der Tod von Solomon Teka: Der 18-jährige jüdische Israeli wanderte vor sechs Jahren mit seiner Familie aus Äthiopien in das Land ein. Am Sonntag wurde er in Haifa von einer Kugel aus der Waffe eines Polizisten getroffen und starb. Nach Angaben der Polizei war der Polizist zum Tatzeitpunkt nicht im Dienst, sondern mit seiner Familie auf einem Spielplatz und wollte einen Streit zwischen zwei Jugendlichen schlichten.

Umstände unklar

Einer davon war Solomon Teka. Was dann geschah, ist noch nicht vollständig geklärt: Griffen die Jugendliche den Polizisten an? Fürchtete der tatsächlich, wie er sagt, um sein Leben? Und schoss er direkt auf den Jugendlichen? Oder prallte die Kugel vom Boden ab und traf Solomon Teka indirekt in der Brust? Für Familienangehörige, Freunde und für die Demonstranten steht jedenfalls fest: Die Polizei reagiert mit weit mehr Gewalt, sobald ein Israeli äthiopischer Herkunft involviert ist – nicht nur in diesem Fall.

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"Ich würde gerne versprechen, dass Solomon der Letzte ist, aber ich weiß, dass wir uns bei der nächsten Beerdigung wieder treffen", sagte der Knesset-Abgeordnete Gadi Yevarkan vom Bündnis Blau-Weiß laut Medienberichten. Yevarkan, der selbst äthiopische Wurzeln hat, nahm an der Beerdigung Solmon Tekas teil.

Diskriminierung

Die äthiopisch-jüdische Gemeinschaft in Israel beklagt schon seit Jahren die Diskriminierung in verschiedenen Lebensbereichen – auch vonseiten der Polizei. Bereits 2015 gingen deshalb Tausende auf die Straße, dieser Tage nun jedoch mit ungewohnt heftiger Gewalt. "Die Jugendlichen und die jungen Männer und Frauen, die die Straßen Israels blockieren, betrauern nicht nur den Tod Solomons, sie kämpfen für ihre eigene Freiheit", so Gadi Yevarkan.

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An mehreren zentralen Verkehrsknotenpunkten im Land versammelten sich die Demonstranten am Dienstag während des Feierabendverkehrs. Sie blockierten die Straßen, Autofahrer steckten stundenlang im Stau. Die Gewalt einiger Demonstranten, junge Männer, die voller Wut auf Autoscheiben einschlugen, das brennende Auto auf einer zentralen Kreuzung in Tel Aviv: Zahlreichen Israelis ging das zu weit. In sozialen Netzwerken schrieben manche, dass die Demonstranten damit das Verständnis vieler verspielt hätten.

Verantwortlichkeit gefordert

Auch Israels Präsident Reuven Rivlin meldete sich zu Wort und rief dazu auf, verantwortlich und moderat zu handeln: "Wir müssten aufhören, ich wiederhole: aufhören, und gemeinsam darüber nachdenken, wie wir weitermachen. Dies ist kein Bürgerkrieg. Es ist ein gemeinsamer Kampf von Brüdern und Schwestern um ihr gemeinsames Zuhause und ihre geteilte Zukunft."

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Premier Benjamin Netanjahu rief dazu auf, für Veränderungen zu sorgen, ohne das Recht zu brechen: "Ich weiß, dass es Probleme gibt, die gelöst werden müssen. Wir haben hart gearbeitet und müssen noch mehr tun. Aber ich bitte um eine Sache: Hört auf, die Straßen zu blockieren." Bereits am Dienstagabend kam der Minister für öffentliche Sicherheit, Gilad Erdan, zu einer Sondersitzung mit dem Polizeikommando zusammen.

Auf Twitter schrieb er: "Der Protest hat Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen." Zwar verstehe er den Schmerz der Demonstranten und sprach ihnen das Protestrecht zu, Anarchie und Gewalt dürften aber nicht toleriert werden. Für Mittwochabend werden an verschiedenen Orten des Landes erneut zum Teil gewaltsame Proteste erwartet. (Lissy Kaufmann aus Tel Aviv, 3.7.2019)