Es hat mit einfachen Fitnessfunktionen begonnen: Puls messen, verbrauchte Kalorien zählen, Laufstrecken aufzeichnen. Inzwischen integrieren Smartwatches aber immer mehr Funktionen, die darüber hinausgehen. Apples neueste Watch kann nun auch ein EKG anfertigen. Ärzte sehen die Entwicklung ambivalent.

Bei der Elektrokardiografie werden die elektrischen Aktivitäten des Herzens registriert und in Form eines Kurvenbildes dargestellt – genannt Elektrokardiogramm (EKG). Ärzte können damit Herzerkrankungen diagnostizieren. Üblicherweise werden EKGs beim Arzt oder in Laboratorien durchgeführt. Es gibt auch mobile EKG-Geräte.

Die Apple Watch Series 4 kann in 30 Sekunden ein 1-Kanal-EKG durchführen.
Foto: Standard/Riegler

Einfache, rasche Durchführung

Mit der Apple Watch Series 4 haben Nutzer nun selbst die Möglichkeit, jederzeit ein EKG zu erstellen. Das funktioniert sehr einfach und schnell, wie ein STANDARD-Test zeigt. Die Smartwatch muss dazu eng am Handgelenk anliegen, man öffnet die EKG-App und legt einen Finger auf die Krone der Smartwatch. Die Messung dauert 30 Sekunden, dabei sollte man den Arm am besten ganz ruhig auf einer Unterlage ablegen. Danach zeigt die Uhr im Idealfall einen Sinusrhythmus an. Das bedeutet, dass das Herz gleichmäßig schlägt. Die Uhr kann auch Anzeichen von Vorhofflimmern und eine niedrige oder hohe Herzfrequenz registrieren oder ein uneindeutiges Ergebnis anzeigen.

Was das Apple-EKG nicht kann: einen Herzinfarkt erkennen. Darauf werden Nutzer auf der Anzeige der Uhr auch prominent hingewiesen. Zudem sind keine Rückschlüsse auf Blutgerinnsel, Schlaganfälle oder andere herzbedingte Erkrankungen wie Bluthochdruck, Herzinsuffizienz, hohen Cholesterinspiegel oder andere Formen von Herzrhythmusstörungen möglich.

Das EKG der Apple Watch ist laut Christian Veltmann, dem Leiter der Abteilung Rhythmologie und Elektrophysiologie innerhalb der Klinik für Kardiologie und Angiologie der Medizinischen Hochschule Hannover, sehr akkurat. Die Seite Mac & i hat die Uhr einige Wochen von dem Arzt testen lassen. Seinen Angaben zufolge entspricht die Aufzeichnungsqualität jener eines konventionellen EKG-Schreibers. Mit der Apple Watch wird nur ein Kanal aufgezeichnet (1-Kanal-EKG). Beim klassischen EKG werden bis zu zwölf Elektroden am Körper des Patienten angebracht (12-Kanal-EKG). Veltmann zeigt sich überrascht, dass das EKG der Apple Watch dennoch so hochwertig ist. Den Vorteil sieht er darin, dass es jederzeit schnell durchgeführt werden kann.

Das EKG wird in der Health App am iPhone gespeichert und kann von dort als PDF exportiert werden.
Foto: Standard/Riegler

Ärztekammer: Nicht mit Medizinprodukten vergleichbar

Die Österreichische Ärztekammer sieht das Ganze etwas skeptischer. Erfahrungen mit der neuen Apple Watch hat man bisher noch nicht gesammelt. "Grundsätzlich liegt die ärztliche Expertise bei Medizinprodukten. Gimmicks wie die Apple Watch fallen da nicht darunter", erklärt Dietmar Bayer, Referent im ÖÄK-Referat für Telemedizin und medizinische Informatik und Vizepräsident der Ärztekammer Steiermark, auf Anfrage des STANDARD. Er weist darauf hin, dass eine ärztliche Untersuchung dadurch nicht ersetzt werden kann. Das betont auch Apple selbst. "Wir verorten solche Gimmicks auf dem weiten Feld der 'Quantified self'-Bewegung. Medizinprodukte sind damit wie gesagt nicht zu vergleichen", so Bayer.

"Zukünftig ist sicher damit zu rechnen, dass es auf diesem Gebiet zu weiteren Entwicklungen kommt", meint Bayer. Für die Ärztekammer sind daher einheitliche Schnittstellen wichtig. "Es darf nicht zum Chaos kommen, dass jeder Patient seine eigenen Aufzeichnungen aus unterschiedlichsten Quellen mitbringt und diese dem Arzt zum Einlesen gibt. Zudem muss sichergestellt sein, dass die Datenqualität und die Datensicherheit gegeben sind."

"Besser informierte Arztgespräche führen"

Was also soll das EKG der Apple Watch bringen? Das Unternehmen will Nutzern die Möglichkeit geben, "besser informierte Gespräche mit ihren Ärzten zu führen" und "verschiedene Aspekte ihrer Herzgesundheit" besser zu verstehen. So werden EKGs in der Health App am iPhone gespeichert und können für den Arzt als PDF exportiert werden. Für Nutzer, die das EKG durchführen, ohne Rücksprache mit ihrem Arzt zu halten, besteht natürlich das Risiko, dass die Ergebnisse aufgrund fehlender fachlicher Expertise falsch gedeutet werden. Richtig gefährlich kann es werden, wenn daraufhin selbst Medikamente abgesetzt oder anders als verschrieben eingenommen werden. Davor warnt auch Apple. (Birgit Riegler, 9.7.2019)