Maria Schuchter und Tobias Reinthaller basteln einen Drachen. Es ist nicht so, wie es scheint, die Liebe ist einseitig.

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"Liebe hat für jedes Lebensalter ihre Leiden", schreibt Iwan Turgenjew und führt es exemplarisch vor. Der Student Beljajew soll einen Sommer lang am Landgut der Familie Islajew für die Bildung des Sohnes sorgen. Das nebensächliche Talent des jungen Mannes ist es aber, allen Frauen im Haus den Kopf zu verdrehen. Tobias Reinthaller kann nichts dafür – es reicht, dass er unschuldig, nett, gut gewachsen und von auswärts ist. Die Einöde rundum trägt ihres zu seinem Reiz bei.

Die Landschaft ist bei den Reichenauer Festspielen ein dezenter Bretterboden. Ein paar dünne Birkenstämme spenden den Tischchen und geflochtenen Stühlen darunter keinen Schatten. Drückender als die Hitze ist ohnehin die Langeweile. Um ihr zu entkommen spielt man Karten oder liest französische Belletristik. Zumindest versucht Günter Franzmeier das, kommt aber nie über den ersten Satz hinaus.

Denn stets fällt ihm Julia Stemberger ins Wort. Sie ist die Dame des Hauses und dazu die schwermütigste von allen. Heiteres Geplauder ist ihr lieber. Wo bleibt es?

Wahnsinn wie bei Thomas Mann

Ein Monat auf dem Lande heißt das Stück, zeigt uns aber tatsächlich nur drei Tage. Der Monat ist fast um, als wir dazustoßen. Die Burschen verstehen sich gut, man baut Drachen, sammelt Himbeeren. Es werden allerdings auch Intrigen gesponnen und der schüchterne Student darf einem zunehmend leid tun. Denn die Unglückliche hat Gefallen an ihm gefunden und macht ihn zu ihrem Projekt. Das erinnert an Thomas Manns Tod in Venedig. Sie will ihm zeigen, wie man eine Frau am Arm nimmt. Stemberger ist energisch und der Bursche ist verwirrt.

Turgenjew dreht und wendet das seltsame Ding namens Liebe. In Reichenau herrscht zu diesem Zweck keine Personalnot. Rund um das ungleiche Gespann arbeiten allerhand Rollen den Verflechtungen zu. Im Auftreten ist etwa David Oberkogler galant, aber hinterrücks ein geständiger kalter Rechenschieber des Gefühls. Von anderen darf man sich aber fragen, warum sie besetzt wurden. Die Wartezeit hinter den Kulissen auf ihre Auftritte muss einige Darsteller zermürben. Selten schauen sie vorbei, wenig haben sie zu sagen.

Figuren umhüllt von Aspik

Was allerdings nicht ihre Güte schmälert. Für Lacher sorgt Nicolaus Hagg. Als schüchterner älterer Nachbar könnte er doch das Mädchen des Hauses ehelichen. Als seine beste Eigenschaft gilt sein Besitz, was Maria Schuchter aber nicht vom Werbenden überzeugt. Ihr entfährt nur ein glockenhelles Lachen. Sie meint es nicht böse, sondern weiß ehrlich nicht, dass Herzen dieses Alters (dreimal das ihre) noch schlagen.

Es sind zweieinhalb dröge Stunden im Festspieltheater. Die Figuren in Hermann Beils Regie sind fest umhüllt von Aspik – luftdicht vor uns, jeder ästhetischen und sozialen Gegenwart abgeschlossen. Ihre zum Ausgleich überakzentuierten Regungen schimmern stumpf wie altes Plastik. (Michael Wurmitzer, 3.7.2019)