Nostalgie ist Robert Guédiguian in Das Haus am Meer fremd. Raffiniert leistet die Komödie Rückschau auf die Errungenschaften seiner Generation. Beim Interview in Paris betont der politisch hellhörige Filmemacher jedoch, dass seine Stammschauspielertruppe und er sich zumindest selbst treu geblieben seien: "Wir machen noch immer Filme, und wir kämpfen noch immer um dieselben Dinge."

Robert Guédiguian (65) ist ein französischer Filmregisseur. Seine Filme spielen zumeist im Umfeld von Marseille und haben einen stark sozialpolitischen Bezug.
Foto: Filmladen

STANDARD: Es gibt eine Szene, in der Ihre Schauspieler in "Ki lo sa?" zu sehen sind, den sie vor über dreißig Jahren gedreht haben. Wie entstand die Idee zur Rückschau?

Guédiguian: Wir haben in den Calanques ein Sommerhaus. Ich wollte dort schon lange einen Film drehen – in der Winterzeit. Da herrscht diese besondere Atmosphäre von Traurigkeit, die sich auf den Film übertragen sollte.

STANDARD: Warum erschien es für Sie gerade jetzt richtig, diese Generation zu thematisieren?

Guédiguian: Ich wollte meine Figuren mit ihrem Leben konfrontieren, bei einer Wiedervereinigung vor dem Hintergrund des sterbenden Vaters. Da er nicht mehr mitsprechen kann, vermag sich der Dialog der Geschwister um so freier zu entwickeln. Das Verschwinden des Vaters bedeutet auch das Verschwinden einer Welt. Nun können die Nachgeborenen auf ihre eigenen Fehler und Erfolge blicken und sich fragen, ob es gelungen ist, die Werte der letzten Generation weiterzuführen. Politisch hatten sie an einem Mangel an Gelegenheiten zu zehren. Die Flüchtlinge geben ihnen einen neuen Beweggrund, den Kampf aufzunehmen.

STANDARD: Eine der Figuren sagt, das Herz schlage links, aber der Kopf tendiere nach rechts ...

Guédiguian: Das Herz schlägt ja auch links! Niemandem von uns fällt es leicht, zu gestehen, dass er egoistisch gehandelt hat. Man betrachtet sich lieber als generöse Person. Doch wenn man mit Steuerpflichten konfrontiert wird, werden die meisten eigennützig. Es gab einen brasilianischen Erzbischof, der sagte: "Jedes Mal, wenn ich einem Armen etwas gebe, bin ich ein Heiliger, aber jedes Mal, wenn ich über die Gründe von Armut nachdenke, werde ich zum Kommunisten."

STANDARD: Es gibt eine komische Szene, in der sich einer darüber lustig macht, dass er bürgerlich genannt wurde. Werden wir alle letztlich zu Spießern?

Guédiguian: Es ist fast unausweichlich. Es ist ein historischer Tatbestand, dass die untere Mittelschicht ob der Unmöglichkeit, die Verhältnisse zu verändern, sich darauf konzentriert hat, nur die eigenen Lebensverhältnisse zu verbessern. Das ist ihr auch gelungen. Zugleich ist sie jedoch zu einem Bild der Wünsche anderer geworden. Und obwohl sie finanzielle Fortschritte machte, wird sie nicht als bourgeois betrachtet. Sie ist entfremdeter denn je.

STANDARD: Verschließt die Politik davor die Augen?

Guédiguian: Unbedingt. Emmanuel Macron ist nicht viel anders als Hollande, auch er versucht nur, den Wirtschaftsliberalismus in Europa zu stärken. Natürlich hat er einen anderen Lifestyle, er fährt nicht mit dem Scooter zu seiner Freundin, wie es noch der andere getan hat. Macron ist nicht mehr als ein rechtes Programm. Seine ökonomischen Strategien stehen weit rechts, und das versucht er mit einem gesellschaftspolitisch sozialen Kurs, etwa seinem Okay für die Schwulenehe, zu vertuschen.

(Interview: Dominik Kamalzadeh, 4.7.2019)