Grafik: DER STANDARD

Es ist ein beschaulicher Ort inmitten der Nationalparkregion Ennstal. 1.604 Einwohner haben hier am Fuße des Schiefersteins und im Schatten einer der ältesten Burgruinen Oberösterreichs ihre Heimat.

Bernd Fischer hat die Liebe dazu veranlasst, Köln hinter sich zu lassen und seinen Lebensmittelpunkt in das oberösterreichische Losenstein zu verlegen. Der gelernte Ergotherapeut beschließt dann 2011 auch den beruflichen Neuanfang – und übernimmt das kleine Nah-&-Frisch-Geschäft auf dem Ortsplatz von Losenstein. Doch die Supermarktkonkurrenz am Ortsrand ist zu stark, und nach Wochen ohne Pause spielt der Körper nicht mehr mit – Burn-out. 2016 muss Bernd Fischer sein kleines Geschäft schließen. Doch Losenstein ist der Schicksalsort des 49-Jährigen. Hoffnung, Aufbruch, Zusammenbruch und Neuanfang reihen sich hier aneinander wie einst die Ware im Supermarktregal.

Das Prinzip nah und frisch hat das Team rund um Geschäftsführer Bernd Fischer beibehalten – nur steckt jetzt keine Lebensmittelkette, sondern eine Genossenschaft hinter dem kleinen Laden in Losenstein.
Foto: Rohrhofer

Mit dem Wiedererlangen gesundheitlicher Stabilität steigt auch die Lust, den Losensteinern erneut einen regionalen Nahversorger zu bieten. Und Bernd Fischer betritt konsumtechnisches Neuland. Er belebt das Genossenschaftsprinzip und adaptiert es neu. "Um's Egg" ist ein Zusammenschluss aus Lieferanten und Kunden. 75 Mitglieder umfasst die Genossenschaft derzeit. Wer dabei sein will, kann sich mit 300 Euro einkaufen.

Behörden gegen durchgängiges Einkaufen

Fischer: "Alles basiert auf dem Selbstbedienungsprinzip, bis hin zur Kassa. Dienstags, freitags und samstags ist das Geschäft aber für alle zugänglich, und es werden auch zwei Verkäuferinnen im Geschäft sein." Der 49-Jährige fungiert als Geschäftsführer und ist bei der Genossenschaft angestellt. Eigentlich sollten sich die Türen des innovativen Ladens bereits im November des Vorjahres öffnen, doch das Um's-Egg-Team hatte die Rechnung ohne die Behörden gemacht. Ursprünglich sollten nämlich Genossenschaftsmitglieder die Möglichkeit haben, rund um die Uhr einkaufen zu können – was aber den Behörden ein gehöriger Dorn im Auge war.

Fischer: "Vor allem wusste man nicht, wie man ein Genossenschaftsgeschäft hinsichtlich der Öffnungszeiten einordnen soll. Monate hat man uns hingehalten. Die ursprünglich geplante Eröffnung im November war damit nicht zu halten."

Pioniergeist

Das 24-Stunden-Prinzip musste man schließlich an den Nagel hängen, da dafür keine behördliche Genehmigung zu erhalten war. Am Projekt hat Bernd Fischer dennoch nie gezweifelt: "So geht es doch allen Pionieren. Man braucht halt einen langen Atem." Und das Einteilen der Sauerstoffreserven hat sich ausgezahlt: Die Holzregale in dem kleinen Geschäft sind mittlerweile gut gefüllt mit den unterschiedlichsten Biolebensmitteln aus der Region, die Software für die Selbstbedienungskassen läuft weitgehend problemlos – und Bernd Fischer hat ein eigenes Büro. "Ich muss schon zugeben, dass es ein durchaus erhebendes Gefühl ist, wenn so viele Menschen an eine Idee glauben, ehrenamtlich unglaublich viel Zeit investieren, und plötzlich merkst du, es läuft, und die Realisierung steht bevor."

Ennstaler Muscheltaucher

Es ist auch der Moment, auf den offensichtlich viele Losensteiner warten. Immer wieder öffnet sich beim STANDARD-Besuch die Tür einen Spalt breit: "Habts schon offen?"

Noch muss Bernd Fischer die Frage aller Fragen mit einem Nein beantworten, doch der offizielle Termin ist fixiert: Von 12. bis 14. Juli steht ein mehrtägiges Eröffnungsfest auf dem Einkaufszettel.

Eine der heiklen Fragen wurde übrigens demokratisch entschieden: Werden auch Bananen verkauft? Im Vorstand fand sich eine gelbe Mehrheit. Klar durchgefallen ist hingegen die Avocado.

Bernd Fischer hat die Chance auf dem Land gleich mehrfach genutzt. Zuerst die Möglichkeit zum beruflichen Neuanfang, dann das Wachsen an einer Krise, jetzt die Chance, mit einem einzigartigen Konzept dem Aussterben der Ortskerne entgegenzuwirken. Oder um es mit den Worten des Kaufmanns zu sagen: "Die Sehnsucht muss groß sein. Aber wenn du die Perlmuschel willst, musst du eben tauchen." (Markus Rohrhofer, 3.7.2019)