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Der Chef der konservativen Nea Dimokratia, Kyriakos Mitsotakis, hat mehr als gute Chancen auf den Wahlsieg.

Foto: REUTERS/Costas Baltas

Es war die Hölle für uns", schildert Mika Papakosta und wischt sich die Haare aus der Stirn. "Die Mittelklasse ist verarmt. Wir arbeiten nun viel mehr, aber für viel weniger Geld." Die temperamentvolle 59-Jährige regt sich nicht so sehr über ihr eigenes Schicksal auf. Sie selbst könne mit ihrem Versicherungsunternehmen gut überleben, erzählt sie. "Aber für die Zukunft bin ich nicht optimistisch", sagt die Frau in dem blau-gelben Kleid, die am Syntagma-Platz unter den Bäumen auf einer Steinbank Platz genommen hat.

Ihr Sohn, ein Ingenieur, sei bereits in die Niederlande abgehauen. Ihre Tochter, die wie sie selbst Psychologie studiert hat, verdient 700 Euro. Damit könne man zwar überleben – aber auch nicht mehr, sagt Papakosta. Überleben – aber auch nicht mehr: Das wurde ab 2011, als die Krise so richtig zuschlug, zur Lebensrealität der breiten Masse der Griechen. Zuerst sparten sie den Urlaub ein, dann begannen sie auf die Preise im Supermarkt zu schauen. Sie kauften nichts mehr, was sie nicht wirklich brauchten. Dann kauften sie hauptsächlich Sonderangebote. Frau Papakosta selbst hat durch Steuern und Versicherungsbeiträge etwa 50 Prozent ihres Einkommens eingebüßt, erzählt sie. "Mitsotakis wird uns, der Mittelklasse, nun wohl etwas zurückgeben", prognostiziert sie.

Der Chef der konservativen Nea Dimokratia, Kyriakos Mitsotakis, verspricht Steuersenkungen. Papakosta bezweifelt aber, dass es zu großen Änderungen kommt. "Die Regierungen haben zuletzt nur das gemacht, was sie zuvor mit den Geldgebern ausgemacht hatten. Da ist nicht viel Spielraum", sagt sie. So habe auch Alexis Tsipras, der Linke, "rechte Maßnahmen" durchgezogen.

Skepsis gegenüber Wahlversprechen

Frau Papakosta ist nur eine von vielen Ernüchterten in Griechenland. Die Bürger haben in den Krisenjahren gelernt, dass es schlauer ist, den Politikern und ihren Versprechungen mit Skepsis zu begegnen. Weil ins Bewusstsein gesickert ist, dass die Sparpolitik noch die nächsten Jahrzehnte weitergehen wird und ein schneller Wandel unmöglich ist, würden wohl diesmal viele nicht zur Wahl gehen, glaubt die Versicherungsagentin. Hoffnungen, aber auch Illusionen sind geplatzt. Auf der anderen Seite des Syntagma-Platzes, unter dem Zelt der Regierungspartei Syriza, ertönt 'California Dreamin'. Nur wenige setzen sich auf die Stühle, um mit Vertretern der regierenden Linken zu sprechen. Doch auch begeisterte Mitsotakis-Fans sind rar. Eher findet man Bürger, die sich erwarten, dass er die Bedingungen für Selbstständige erleichtert.

Trisevgeni Tzotzi etwa, eine 55-Jährige mit langen blonden Haaren und weißumrandeten Sonnenbrillen, erhofft sich "ein besseres Leben". Sie hat in den Tsipras-Jahren etwa 20 Prozent ihres Einkommens verloren. Nun hat sie aber ihren eigenen Laden: Sie verkauft Produkte aus Mastix, dem Harz von Pistazienbäumen: Salben, Zahnpasta, angereichertes Wasser.

Die Mastix-Lady ist positiv gestimmt, obwohl sie 2011 ihren Job als Managerin in einem Versicherungsunternehmen verloren hat. "Wenn du keine Arbeit hast, dann schaffst du dir Arbeit", habe sie damals zu sich gesagt. "In solchen Zeiten hast du keine Zeit und kein Geld für Nebensächlichkeiten. Du musst auf das Wesentliche fokussiert sein", erklärt sie ihre damaligen Erfahrungen, die sie heute schätzt.

Tzotzi schuf ihr eigenes Laboratorium und produziert dort Seifen und bäckt Kekse, die sie an einem Stand in der U-Bahn-Station Syntagma verkauft. "Die Rezepte für die Mixturen habe ich von meiner Großmutter aus Smyrna", verrät sie.

Die vergangenen Jahre unter der Tsipras-Regierung bezeichnet sie als "eine Notwendigkeit zur richtigen Zeit". Die Griechen hätten eine Lektion gelernt. Dass die Linke überhaupt an die Macht gekommen sei, zeige, "dass wir hier Meinungspluralismus haben", meint sie. Und trotz der Syriza-Regierung sei es ruhig und stabil geblieben. Man sei hier zwar im Land der Philosophen und nicht im Land der Ökonomen; aber nun erkenne man die Situation realistischer, meint sie.

Strategisch wählen

Frau Tzotzi ist eigentlich auch dafür, dass die Steuern gesenkt werden. Aber sie selbst will genau deshalb die Kommunisten (KKE) wählen. "Denn nur, wenn die Nea Dimokratia schwach ist, kann sie von den Bürgern gezwungen werden, ihre Versprechen zu erfüllen", erklärt sie ihre Strategie. "Wir haben bei Syriza gesehen, dass sie so stark war, dass sie nichts erfüllen musste." Mit diesen Worten geht Frau Tzotzi wieder zu ihren Seifen und Zaubertränken. (Adelheid Wölfl aus Athen, 4.7.2019)