Facebook plant ein Gremium zur Selbstregulierung. Im Gastkommentar erklärt Autorin Ingrid Brodnig, warum die Onlineplattform eine stärkere Aufsicht braucht.

Wie mächtig ist Facebook? Die Plattform hat nach eigenen Angaben jeden Tag 1,56 Milliarden User – das sind mehr tägliche Nutzer, als China Einwohner hat. Immer wieder wird dieses Unternehmen auch mit Staaten verglichen. Selbst Mark Zuckerberg sagte im Jahr 2010: "In vielerlei Hinsicht ähnelt Facebook mehr einer Regierung als einem traditionellen Unternehmen. Wir haben diese große Gemeinschaft von Leuten, und mehr als andere Technologie-Unternehmen geben wir Regeln vor." So wird er im Buch "The Facebook Effect" zitiert.

Die Sache ist nur: Vergleicht man die Konzernspitze tatsächlich mit einer Regierung, dann fällt auf, wie undemokratisch Facebook ist. Zuckerberg besitzt zwar nur die Minderheit der Aktien, aufgrund der Aktienkonstruktion kontrolliert er aber rund 60 Prozent der Stimmrechte. Einfach gesagt: Niemand kann Zuckerberg feuern.

Dass die fehlende Aufsicht dieses marktbeherrschenden Konzerns für Unbehagen sorgt, fällt nun auch Facebook auf. Es hat niemand Geringeren als Nick Clegg, den früheren britischen Vizepremier, als neuen Kommunikationschef engagiert. Auch hier sieht man, wie mächtig das Unternehmen ist: Es holt sich nicht irgendeinen PR-Berater als Cheflobbyisten. Es holt sich einen früheren Vizeregierungschef.

Facebooks "Außenminister" Nick Clegg kürzlich in Berlin. In Deutschland droht dem Onlinenetzwerk eine Millionenstrafe wegen fehlender Transparenz beim Umgang mit Hasskommentaren.
Foto: APA/AFP/TOBIAS SCHWARZ

Neues "Oversight Board" ...

Clegg erklärt nun vielerorts, wie gern Facebook reguliert werden möchte. Solche Wortmeldungen stehen durchaus im Widerspruch zu Facebooks bisherigem Verhalten: Als die Datenschutzgrundverordnung in Brüssel verhandelt wurde, lobbyierte Facebook noch dagegen. Aber gut: Das ist mittlerweile sechs Jahre her, und Facebook hat in der Zwischenzeit gefühlt eine Zillion Skandale durchgemacht. Der Konzern signalisiert, er wolle sich verändern. Er wolle seine Macht mit anderen teilen.

Als ersten großen Schritt kündigt Facebook die Einführung eines "Oversight Board" an. Das ist ein Aufsichtsgremium, in dem voraussichtlich 40 externe Spezialisten aus aller Welt sitzen sollen. Sie sollen bei einzelnen Streitfällen – zum Beispiel im Umgang mit Hassreden – entscheiden, welche Inhalte stehenbleiben und was gelöscht wird. Das Ganze ist als Anlaufstelle für unzufriedene Nutzer gedacht, auch Facebook kann eigene Fälle einbringen. "Fast wie ein Höchstgericht" stellt sich Zuckerberg dieses Gremium vor. Nur: Bei näherer Betrachtung hat dieses Gremium wenig mit tatsächlichen Höchstgerichten zu tun.

... mit eingeschränkter Sicht

Zuerst ein wenig Lob: Es handelt sich um einen interessanten Schritt Facebooks. Es ist durchaus sinnvoll, dass sich Facebook teilweise öffnet, dass es externe Experten um Rat ersucht. Denn häufig hat das Unternehmen umstrittene Entscheidungen gefällt: Man erinnere sich etwa daran, wie die Plattform das berühmte Foto des Napalm-Mädchens wegen Nacktheit löschte – ein berühmtes Pressefoto, dass die US-amerikanischen Kriegsgräuel in Vietnam dokumentierte. In vielen Fällen ruderte Facebook zurück, ein solches "Oversight Board" bietet nun die Chance, mehr Reflexion in Facebooks Entscheidungsprozess zu bringen.

Nur sollte man sich nicht erwarten, dass dieses Gremium die Probleme der Plattform lösen kann: Denn für die allermeisten Themen ist das "Oversight Board" nicht zuständig. Nach bisherigem Wissensstand soll sich dieses Gremium weder mit Fragen, die Facebooks Werbemodell aufwirft, noch mit dem Algorithmus, der Inhalte filtert, noch mit Privatsphäre-Themen beschäftigen.

In den vergangenen Monaten hat Facebook mit mehr als 650 Menschen in 88 Ländern gesprochen und Feedback zu den eigenen Plänen eingeholt. Mehrfach wurde anscheinend kritisiert, wie eng das Aufgabengebiet dieses Gremiums gefasst ist. Im August will das Unternehmen sein definitives Konzept vorlegen – mal sehen, ob sich noch etwas ändert.

Empfehlungen, kein Gericht

Eine der größten Schwachstellen des Aufsichtsgremiums ist, dass seine Entscheidungen für die Zukunft nicht bindend sein sollen. Gewiss: In einzelnen Streitfällen dürfen die 40 Mitglieder entscheiden. Auch meint das Unternehmen, dass es den Empfehlungen bei zukünftigen Entscheidungen grundsätzlich folgen wolle. Aber Facebook behält sich das Recht vor, dann doch entgegen den Empfehlungen des Gremiums vorzugehen. Wie der "Spiegel Online" richtig anmerkte, widerspricht dies dem Ansatz eines Höchstgerichts. Bei höchstinstanzlichen Urteilen kann sich die jeweilige Bundesregierung nicht aussuchen, ob sie dem Urteil folgen möchte.

Hier wird das zentrale Problem dieses Gremiums sichtbar: Es ist eben kein Gericht – es hat mit einer rechtsstaatlichen Aufsicht nichts zu tun. Es handelt sich um etwas mehr als eine externe Beratung, die Facebook etabliert. Das ist sinnvoll, aber wir sollten das nicht mit rechtsstaatlicher Kontrolle verwechseln.

Stärkere Aufsicht

Wenn wir eine ernsthafte demokratische Aufsicht dieses Riesen im Netz wollen, sollten wir nicht darauf vertrauen, dass Facebook sich selbst regulieren wird. Im Gegenteil: In Kürze wird feststehen, wie die nächste EU-Kommission aussieht. Die Europäische Union kann auf Ebene des Wettbewerbsrechts oder auch mittels neuer Regeln eine stärkere Aufsicht etablieren – und das sollte sie auch tun. Die Riesen im Netz sind so mächtig geworden, dass wir es nicht mehr ihnen selbst überlassen sollten, wie viel Macht sie mit uns teilen wollen. (Ingrid Brodnig, 4.7.2019)