URSULA VON DER LEYEN: Als Phönix nach Brüssel

Eigentlich hätte die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) am Mittwoch in Berlin ein Buch über den Hitler-Attentäter Claus Schenk Graf von Stauffenberg präsentieren sollen. Doch an ihrer Stelle trat der Generalinspekteur der Bundeswehr, Eberhard Zorn, auf die Bühne und fasste die Lage so zusammen: "Sie haben eine Frau in Zivil erwartet und sehen einen Mann in Uniform."

Die Ministerin war schon auf dem Weg nach Straßburg, Zorn klang auch ein wenig verblüfft, und damit geht es ihm nicht anders als den meisten Deutschen. Die Nominierung von der Leyens zur EU-Kommissionspräsidentin ist eine politische Überraschung, wie man sie lange nicht erlebt hat.

Nicht einmal ausgewiesene Kenner der Berliner Szene hatten die 60-jährige Niedersächsin auf dem Zettel. Im Gegenteil: In der deutschen Hauptstadt galt von der Leyen eigentlich in letzter Zeit als große Verliererin.

Annegret Kramp-Karrenbauer durfte Angela Merkel als CDU-Chefin beerben, der 39-jährige Gesundheitsminister Jens Spahn hält sich für die Zeit nach AKK warm, und Politpensionist Friedrich Merz wird auch immer noch als Minister gehandelt. Nur bei von der Leyen war zuletzt klar: "Die wird nix mehr."

"Röschen" zeigt es allen

Ein Irrtum. "Röschen" hat es, mithilfe ihrer Wegbereiterin, der Kanzlerin Angela Merkel, doch noch einmal allen gezeigt. Sie wird nun nach Brüssel übersiedeln – und damit schließt sich ein Kreis: Von der Leyen wurde nämlich 1958 dort geboren.

Ursula von der Leyen galt als Ministerin am Ende ihrer Karriere.
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Ihr Vater Ernst Albrecht, der spätere langjährige Ministerpräsident von Niedersachsen, war bei der EG-Kommission tätig, von der Leyen lebte bis zum elften Lebensjahr in Brüssel. Englisch und Französisch spricht sie so gut, dass es für weit mehr als Smalltalk reicht.

Dass der Topjob in Brüssel möglicherweise eine Nummer zu groß für sie wäre, glaubt kaum jemand. Von der Leyen ist seit 2005 im Kabinett. Sie war zuerst Familien- und dann Arbeitsministerin. Vor allem als Familienministerin half sie Merkel, die CDU zu modernisieren und durch den Ausbau von Kindergärten auch für junge Frauen wählbar zu machen.

Kein höheres Amt mehr

2013 wechselte sie ins Verteidigungsministerium. Das schwierige Amt anzutreten war von der Leyens eigener Wunsch, Merkel hätte die Ärztin eigentlich als Gesundheitsministerin im Ressort haben wollen. Doch von der Leyen ließ unausgesprochen keinen Zweifel daran, dass dies als Bewerbung fürs Kanzleramt zu verstehen ist. Daraus aber wurde nichts, von der Leyen schaffte es auch nicht, die erste Bundespräsidentin Deutschlands zu werden.

Auf dem Schleudersitz im Verteidigungsministerium konnte sich von der Leyen trotz vieler Schwierigkeiten dann jedoch länger halten als viele ihrer Vorgänger. "Mir ist die Truppe ans Herz gewachsen", erklärte sie 2017, zu Beginn ihrer zweiten Amtszeit.

Doch teure Verträge mit externen Beratern, mangelhafte Ausrüstung und rechtsextreme Umtriebe in der Bundeswehr warfen dunkle Schatten. Von der Leyen versuchte diese eisern wegzulächeln. Momente der Schwäche zeigt sie nicht, Disziplin lautet der zweite Name der siebenfachen Mutter.

Abseits deutscher Wehrpolitik setzte sie sich für eine vertiefte militärische Zusammenarbeit in der EU ein, was ganz im Sinne des französischen Präsidenten Emmanuel Macron ist. Ebenfalls mit Frankreich brachte sie Entwicklung und Bau eines gemeinsamen deutsch-französischen Kampfjets und eines Kampfpanzers auf den Weg.

2011 beschrieb sie, wie sie sich die EU der Zukunft vorstellt: "Mein Ziel sind die Vereinigten Staaten von Europa, nach dem Muster der föderalen Staaten Schweiz, Deutschland oder USA." Aber sie weiß auch: Unmittelbar bevor steht das nicht. (Birgit Baumann aus Berlin, 3.7.2019)


CHRISTINE LAGARDE: Unabhängig und untertan

Christine Lagarde ist, da besteht kein Zweifel, eine starke Chefin: "Se boss" nennen sie französische Mitarbeiter am Washingtoner Sitz des Internationalen Währungsfonds (IWF), den die 63-jährige Französin seit 2011 leitet. Solid, souverän, stets lächelnd, hat die ehemalige Anwältin und Ministerin die internationale Organisation mit sicherer Hand durch finanzpolitische Turbulenzen geführt. Den liberalen Gläubigerklub hat die sozialkonservative, den französischen Republikanern nahestehende Juristin deutlich grüner und humaner gefärbt.

Dem STANDARD sagte die ehemalige Synchronschwimmerin einmal, in einer solchen Führungsposition müsse man "zuerst körperlich bestehen, ja widerstehen". Auf die Frage, was sie einer jungen Frau mit Ambitionen raten würde, meinte sie: "Man muss physisch sehr stark sein, Sport machen, nicht rauchen." Lagarde selbst steht jeden Morgen um sechs Uhr auf, macht Yoga, meditiert; tagsüber legt sie Mini-Siestas ein, genehmigt sich weder Alkohol noch rotes Fleisch.

Ganz nach oben

Mit Selbstdisziplin hat sie sich in einer Männerwelt ganz nach oben gekämpft. Bevor Lagarde – die ihre Beziehung zu einem Unternehmer in Marseille zumeist nur auf Distanz leben kann – die IWF-Spitze übernahm, führte sie die angesehene Anwaltskanzlei Baker McKenzie und war in Paris unter Nicolas Sarkozy Wirtschaftsministerin.

Erstaunlicherweise hat die "mächtigste Frau der Welt" – als die sie schon apostrophiert wurde – zugleich etwas Ehrerbietiges, Ergebenes, ja fast Unterwürfiges an sich. Offen trat dies 2016 zutage, als Lagarde im sogenannten Tapie-Prozess von einem Pariser Gericht wegen "Fahrlässigkeit" verurteilt wurde. Die Strafe wurde zwar ausgesetzt, weil Lagarde als Ministerin nicht direkt involviert war; die Richter befanden aber, dass Lagarde die Augen vor den Machenschaften ihres Vorgesetzten verschlossen habe. Anders gesagt: Lagarde hatte für Sarkozy im Prozess den Kopf hingehalten.

Christine Lagarde wurde schon als "mächtigste Frau der Welt" apostrophiert.
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Das war nicht alles: In dem Prozess wurde ein handschriftliches Schreiben Lagardes bekannt, in dem sie ihrem "lieben Nicolas" quasi Nibelungentreue schwor: "Ich bin an deiner Seite, um dir zu dienen", schrieb sie mit eleganter Handschrift. "Benütz mich so lange, wie es dir passt. Wenn du mich benützt, brauche ich dich als Führer und Helfer. Ohne Führer wäre ich wirkungslos." Unterschrift: "Mit meiner immensen Bewunderung, Christine L."

Dieses Schreiben erscheint nun in einem neuen Licht, da Lagarde die Leitung der Europäischen Zentralbank übernehmen soll. Dabei handelt es sich um ein Gremium, dessen Unabhängigkeit von den europäischen Regierungen mehr als nur Programm ist: Es ist die zentrale, wenn nicht sogar die Existenzfrage der EZB.

Wirklich ungebunden?

Ist Lagarde wirklich politisch ungebunden? Vor drei Jahren kritisierte das Internal Evaluation Office des IWF in einem Bericht, dass die Chefin südeuropäischen Ländern (Griechenland und Portugal) Kredite eingeräumt habe. Dabei habe sie die "unabhängigen, technokratischen" Kriterien zugunsten politischer Rücksichten aufgegeben.

Niemand stellt infrage, dass Lagarde ihre Nominierung für die EZB dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron zu verdanken hat. Sie beeilte sich zu twittern, sie fühle sich "sehr geehrt". Hinsichtlich der Unabhängigkeit der EZB verlor sie kein Wort.

Geldpolitisch dürfte sie weitgehend ihrem Vorgänger Mario Draghi folgen. Lagarde steht insofern für Kontinuität. Da die Teuerung gering bleibe, müsse die Zinspolitik nicht gestrafft werden, hatte Lagarde unlängst in Luxemburg erklärt.

Die Zukunft wird weisen, ob sich die EZB-Chefin in spe ihrem heutigen Mentor Macron ebenso untertan fühlt wie einst Sarkozy. (Stefan Brändle aus Paris, 3.7.2019)