Frischzellenkur: Sollte es eines Tages gelingen, erkrankte Gehirne mit jungem Blut wieder auf Trab zu bringen, wäre das ein Multimilliarden-Dollar-Geschäft. Und es würde zahlreiche ethische Fragen aufwerfen.

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Der Schweizer Tony Wyss-Coray lehrt Neurobiologie an der Universität Stanford in Kalifornien und leitet dort ein nach ihm benanntes Labor. Er forscht zur Frage, wie man die Alterung des Gehirns und den schrittweisen Untergang von Nervenzellen des zentralen Nervensystems bremsen oder gar stoppen könnte. Kann junges Blut die Folgen von Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson bei alten Menschen eindämmen?

STANDARD: Man injiziert älteren Menschen das Blut von jüngeren Menschen, wodurch sich die Gehirnleistung bessert und Demenz gehemmt wird. Kann es so einfach sein?

Wyss-Coray: Das haben wir uns auch gefragt. Man muss sich bewusst sein, dass unser Blut wahnsinnig komplex ist, da sind tausende verschiedene Faktoren drin, und wir wissen heute, dass sich seine Zusammensetzung durch das Altern sehr stark verändert. Mit dem jungen Blut können wir es vielleicht irgendwann schaffen, unzählige biologische Prozesse wieder zu aktivieren oder zu unterdrücken, die mit dem Altern zu tun haben. Im Normalfall hat man ein Medikament, das einen ganz spezifischen biologischen Prozess beeinflusst. Mit jungem Blut aktivieren wir vielleicht dutzende oder sogar hunderte solcher Prozesse.

STANDARD: Sie haben Testreihen mit Mäusen und mit Alzheimerpatienten gemacht – man sieht, dass die Methode funktioniert, aber nicht, warum. Wissen Sie es?

Wyss-Coray: Wir wissen es nicht genau. Wir konnten einzelne Faktoren isolieren, die die Wirkung teilweise nachvollziehbar machen, aber nicht den gesamten Prozess – den zu verstehen wird dauern. Verschiedene Faktoren im Blut haben unterschiedliche Wirkungen im Gehirn. Es gibt nicht den einen Faktor, der alles verändern kann – es ist ein multifaktorieller Prozess.

STANDARD: Sie beschreiben, wie die Neuronenumgebung mit frischem Blut geflutet und so aktiviert wird. Funktioniert das außer beim Gehirn auch bei anderen Organen?

Wyss-Coray: Das funktioniert sicher auch bei anderen Organen. Kollegen von mir konnten den Effekt auch schon am Muskel zeigen und haben Wirkungen auf die Leber beschrieben, auf die Bauchspeicheldrüse, auf die Knochen. Verschiedene Organe scheinen auf frisches Blut positiv zu reagieren.

STANDARD: Das wäre dann ja der berühmte Jungbrunnen. Ist diese Forschung also ein Multimilliarden-Dollar-Feld?

Wyss-Coray: Ja – es gibt immer mehr Biotech-Firmen in den USA, die daran arbeiten, Prozesse des Alterns pharmakologisch zu regulieren. Manche davon versuchen, jene Faktoren im Blut zu identifizieren, von denen dieser Jungbrunnen-Effekt ausgeht.

STANDARD: Auch Sie haben einen erfolgversprechenden Faktor isoliert ...

Wyss-Coray: ... einen negativen Faktor namens Eotaxin. Wir haben uns angeschaut, welche Faktoren sich genau ändern, wenn man das Blut einer alten Maus durch die Gabe von Blut einer jungen Maus verändert, wenn man das Tier also quasi "verjüngt". Dabei haben wir einige Proteine identifizieren können, die negative Auswirkungen auf das Gehirn haben. Wenn man diese einer jungen Maus spritzt, dann kann diese Maus nicht mehr so klar denken. Therapeutisch versuchen wir jetzt, diesen Faktor bei alten Menschen zu blockieren. Es gibt erste klinische Versuche, um Makuladegeneration im Auge zu behandeln. Die ersten Resultate sind vielversprechend. Als Nächstes wollen wir diese in einem doppelblinden Placebo-kontrollierten Versuch überprüfen.

STANDARD: Wenn Sie Erfolg haben, dann werden wohl viele junge Menschen in armen Ländern ihr Blut verkaufen wollen. Wirft all das nicht viele ethische Fragen auf?

Wyss-Coray: Natürlich gibt es eine Vielzahl moralischer Bedenken in Bezug auf die Blutverjüngung. Da muss die Gesellschaft Regeln aufstellen. Ich denke auch nicht, dass Blutverjüngung in Zukunft die Lösung sein wird. Falls es funktioniert, dass man viele Krankheiten mit jungem Blut heilen kann, würde man Millionen von Spendern brauchen. Bis dahin könnte es ein Ansatz für die schlimmsten Erkrankungen sein. Man könnte erstmals etwas gegen Alzheimer tun, gegen das es bis heute ja nichts gibt. Die bisherigen Ergebnisse sind ermutigend – aber es liegt noch ein langer Weg vor uns.

STANDARD: Sie werden unterstützt von diversen Laboratorien, von der Schweizer Nomis-Stiftung, aber von keinem großen Pharmakonzern. Warum eigentlich nicht?

Wyss-Coray: Ich glaube, die großen Pharmakonzerne sind sehr fokussiert auf diesen einen Faktor, den es braucht, um Alzheimer zu bekämpfen. Dabei spricht man mittlerweile eher davon, dass die Krankheit multifaktoriell ist. Ich hoffe, dass wir mit unseren Forschungen mit jungem Blut zeigen können, dass es einen Effekt hat auf das Gedächtnis, und dass wir so die Pharmaindustrie davon überzeugen, dass da etwas dran ist, was man erforschen sollte. Bis jetzt hat man gesagt: Wir müssen herausfinden, welche konkrete Nadel im Heuhaufen das Problem ist, und dann werden wir versuchen, diese herauszufischen. Vielleicht geht das aber nicht bei chronischen, komplexen Erkrankungen. Vielleicht ist das zu idealistisch, dass man da diesen einen magischen Knopf findet.

STANDARD: Sie wählen also die Vogelperspektive und versuchen herauszufinden, wo man forschen muss?

Wyss-Coray: Genau. Aber auch wir versuchen, die entscheidenden Faktoren im Blut zu finden. Ich denke, in Zukunft brauchen wir einen Cocktail: Wir finden die besten positiven Faktoren im Blut, und gleichzeitig neutralisieren wir dort die Altersfaktoren. (Hans Rauscher, X.7.2019)

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